Wohl wohl
Von Wiglaf DrosteEs hat sich im Journalismus eingebürgert, das in dieser Berufsdisziplin selbstentlarvende Wort »wahrscheinlich« durch die Vokabel »wohl« zu substituieren. Substantiell zeigt auch dieses »wohl« nur, dass der Autor im »Nichts Genaues weiß man nicht«-Stadium-feststeckt, trotzdem die Druckertinte nicht halten kann, aber der Klang des »wohl« ist eben auch ein Wohl-Klang, und spätestens seit Joachim-Ernst Berendts »Nada Brahma« kann jeder, der das wissen will, auch wissen, dass »die Welt Klang ist«.
Wenn man sich und andere allerdings der Schlagzeile »Deutscher Tourist auf den Philippinen wohl ermordet« ausgesetzt sieht, entstehen ein bösartiger Missklang und großes Missbehagen. Was soll das heißen: »Deutscher Tourist auf den Philippinen wohl ermordet«? Dass auch die Fragen nach Mord oder nicht Mord, nach Sein oder Nichtsein unangemessen und quasi im Schweins-Salopp mit »keine Ahnung, weiß nich’, is’ auch egal« beantwortet werden können?
Oder dass der zu Tode gekommene Mensch »wohl«, also besonders zuwendungsreich und gut behandelt wurde beim Ermordetwerden? Dass es den Mördern wohl ums Herz war während oder nach der Tat? Frei nach Robert Gernhardt gereimt: Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen. / Ich weiß nur eins: Ich find’ das Wörtchen ›wohl‹ unheimlich beschissen. Denn eines ist in dieser sowohl gewissenlosen als auch an Gewissheiten armen Welt gewiss: Der ersatzvokabulär angewandte Einsilber »wohl« kann aus dem Journalismus ohne jeglichen Substanzverlust wohlgemut gestrichen werden.
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