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Aus: Ausgabe vom 02.03.2017, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Oscar, abtreten! »Werkschau Helena Trestikova« in Berlin

Von Grit Lemke

Während die Welt vom Oscar spricht und der für Dokumentarfilm wie immer an ein mieses Machwerk ging, ehrt das Kino Arsenal in Berlin eine der größten Filmemacherinnen unserer Zeit mit einer Werkschau. Still und leise, wie es die Art von Helena Trestikova (sprich: Tscheschtikowa) ist. Bis zum Europäischen Filmpreis hat die ultimative Königin der Langzeitbeobachtung alles eingeheimst, was es an ernstzunehmenden Trophäen gibt und stellt sich doch nie in die erste Reihe. Statt dessen dreht sie unermüdlich und mit einem schier unfassbaren Output von bisher mehr als 50 Filmen. Seit Trestikova 1980 für das tschechische Fernsehen sechs junge Hochzeitspaare porträtierte, begleitet sie an die 40 Protagonisten mehr oder weniger permanent durch die Wirren der Zeit.

Dissidenten, Junkies, gefeierte Künstler und Kleinkriminelle bevölkern dieses Universum ebenso wie alleinerziehende Mütter und stinknormale Familien. Der genaue Blick in ihrer aller Alltag offenbart Erstaunliches jenseits des Klischees und falsch verstandener Political Correctness – wenn zum Beispiel gezeigt wird, wie ein Roma-Aktivist an der eigenen Community scheitert oder das Martyrium einer Suchtkranken erst nach dem Entzug beginnt und niemals endet. Solche Filme kann man nur mit Empathie machen, wenn man also die Menschen liebt.

Trestikova, die schon mal vor die Kamera tritt und eine helfende Hand reicht, wurde so zu einer Institution nicht nur für ihre Protagonisten, sondern in ganz Tschechien, war kurzzeitig sogar Kulturministerin. Die Frage, an welcher Stelle sie politisch mehr bewirken kann, entschied sie zugunsten der Filmarbeit. Die großen Fragen und Ereignisse der Zeit durchziehen jedes ihrer Werke, die sich an den Schnittstellen von Individuum und Gesellschaft bewegen. Die Werkschau bietet einen Querschnitt durch Třeštíkovás Schaffen und enthält neben frühen Werken auch ihr Opus magnum »René«, in dem wie in »Marcela« das Filmemachen selbst thematisiert wird. Oscar, abtreten!

Eröffnung heute, 20 Uhr, Kino Arsenal am Potsdamer Platz (in Anwesenheit der Regisseurin), die Werkschau läuft bis 20. März

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