Lauer Sommerwind
Von Dietmar KoschmiederDie ökonomischen und damit auch die politischen Spielräume der Kapitalistenklasse in den führenden Industrienationen werden immer enger. Zur Sicherung maximaler Profite verschärfen sie nicht nur in der sogenannten dritten Welt die Ausbeutung – auch in der zweiten und ersten sehen sie sich genötigt, immer mehr Sozialschnickschnack abzuschaffen. Die Notwendigkeit solcher Schritte wird dem Wahlvolk , das ja nichtsdestoweniger bei Laune gehalten werden muss, dann über Politiker und Medien vermittelt.
Aber auch das politische Personal, das für solche Aufgaben zur Verfügung steht und das in der Bevölkerung doch ausreichend akzeptiert werden soll, wirkt verbraucht. Weshalb Populisten aller Couleur in Stellung gebracht werden. In den USA wettert ausgerechnet ein Milliardär gegen das kapitalistische Establishment – und wird mit dieser Masche zum Präsidenten gewählt. In der Türkei empört sich ein vorerst halbfaschistischer Autokrat über Faschisierungstendenzen in Europa – nur um sich demnächst als Alleinherrscher voll entfalten zu können. In Frankreich sind es ausgerechnet die Neofaschisten, die zwar die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen, dabei aber keinesfalls für die Enteignung der herrschenden Klasse, sondern für deren Stabilisierung bereit stehen. Und trotzdem gewählt werden.
Die andere Spielart der Wählerverarschung kommt aus vermeintlich linker Ecke: In Griechenland wehren sich die Menschen gegen Ausbeutung und Demütigung – die Syriza-Sozialisten schwingen sich zu deren Fürsprechern auf, opponieren im Wahlkampf besonders frech gegen das diktatorische Regiment der Eurokraten unter Wortführer Wolfgang Schäuble. Nur um ihnen nach der Wahl besonders devot zu Diensten zu sein. Vorige Woche war zu lesen, dass Eltern in Griechenland ihre Kinder in Waisenheimen abgeben, weil sie diese nicht mehr ernähren können. Was dort funktioniert hat, wird nun auch in Deutschland versucht: Der deutsche Alexis Tsipras heißt Martin Schulz. Selber tun, wird suggeriert, sei unnötig, Schulz-Würselen wird das Nötige stellvertretend für die Geknechteten im Lande schon richten. Es genügt, wenn er sanfte Kritik an einem der sozialdemokratischen politischen Verbrechen übt und leichte Korrekturen an der Agenda 2010 ankündigt, schon gerät die sozialdemokratische Basis in Ekstase und kürt den Linkspopulisten mit 100 Prozent der abgegebenen Stimmen zum neuen Parteivorsitzenden.
Derweil verklärt sein Vorgänger Sigmar Gabriel bei einem Besuch in Griechenland als neuer Außenminister der deutschen Republik, dass das mit der Hartz-Agenda nichts als ein »lauer Sommerwind« gewesen sei – im Vergleich zu dem, was da gerade den Griechen abverlangt werde. Dahinter steckt soviel Wahrheit, als der »große Sturm«, wie ihn Griechenland zur Zeit erlebt, in der BRD erst noch aufkommen wird. Und wie in Griechenland braucht man, damit das Volk trotzdem ruhig bleibt, Sozialdemokraten, die das alles moderieren: Geschäftsgrundlage für eine »rot-rot-grüne« Regierung.
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