Hintergrund: Seenotrettung auf dem Mittelmeer
Die Lage auf dem Mittelmeer spitzt sich zu. Immer mehr Flüchtlinge versuchen wieder, den gefährlichen Weg von Tunesien oder Libyen aus in die EU zu nehmen. Alleine am Osterwochenende haben private Initiativen 8.360 Menschen von 55 Schlauch- und drei Holzbooten aus Seenot gerettet, wie der Sprecher der Internationalen Organisation für Migration (IOM), Flavio Di Giacomo, am Dienstag vergangener Woche twitterte. 13 Leichen seien geborgen worden, darunter die eines Achtjährigen, meldete die Nachrichtenagentur Ansa. Die Hilfsorganisation »SOS Méditerranée« sprach auf dem Kurznachrichtendienst Twitter von einer »dramatischen Situation« und einem »absoluten Notfall«. Sie forderte Unterstützung bei der Suche nach Schiffbrüchigen und der Rettung auf dem Mittelmeer. »Wo waren die Frontex-Schiffe, als ein Rettungsschiff einer NGO Unterstützung brauchte, um Tausende Leben zu retten? Wo war die EU?« twitterte die Organisation »Ärzte ohne Grenzen«. Die Nichtregierungsorganisationen fordern von der EU ein Seenotrettungsprogramm. »Im Moment ist es leider so, dass wir von staatlicher Seite sehr wenig Unterstützung bekommen, zuwenig, um ausreichend Menschen retten zu können«, sagte der Kapitän des privaten Rettungsschiffs »Sea Eye« dem Bayerischen Rundfunk.
Statt Hilfe zu bekommen, werden die privaten Organisationen von staatlicher Seite allerdings mit Vorwürfen belegt. Ein italienischer Staatsanwalt hat Hilfsorganisationen – auch aus Deutschland – eine Zusammenarbeit mit libyschen Schleppern bei der Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer vorgeworfen. »Wir haben Beweise dafür, dass es direkte Kontakte zwischen einigen Nichtregierungsorganisationen und Schleppern in Libyen gibt«, sagte Carmelo Zuccaro der italienischen Tageszeitung La Stampa (Sonntagausgabe). Genauer wurde er nicht. Deutsche Hilfsorganisationen wiesen die Vorwürfe zurück.
In diesem Jahr sind im Mittelmeer, soweit bekannt, bereits mehr als tausend Flüchtlinge ertrunken. Wie das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Freitag mitteilte, liege die Zahl der offiziell registrierten Fälle bei 1.073. Allein über das Osterwochenende seien mehr als hundert Menschen ertrunken. Seenotretter machen allerdings immer wieder darauf aufmerksam, dass von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Die Zahl der Menschen, die versucht, in zumeist kaum seetüchtigen Booten über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, nimmt wegen des guten Frühlingswetters derzeit wieder zu. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wurden in diesem Jahr bereits bereits mehr als 36.700 Bootsflüchtlinge gerettet und nach Italien gebracht. Das ist eine Zunahme um fast 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. (dpa/AFP/jW)
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