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Aus: Ausgabe vom 20.05.2017, Seite 16 / Aktion
Zeitung für Malocher, nicht für Millionäre

Falsche Erwägung

Venezuela und Deutschland zeigen: Es braucht keine soziale Revolution, um den Unmut der Herrschenden auf sich zu ziehen
Von Dietmar Koschmieder
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Begeisterung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) für steineschmeißende Randaliererin

Ausgerechnet die Frankfurter Allgemeine Zeitung feiert eine Randaliererin. Sie bezeichnet sich selbst als Guerillera und wirft mitten auf der Stadtautobahn Steine auf Beamte – dafür bezeichnet die FAZ sie wahlweise als »Ikone des Widerstandes«, »Ikone des Protestes« oder gar als »Wonder Woman«. Respekt und Aufmerksamkeit schenkt die »Zeitung für Deutschland«, wie die FAZ sich selbst nennt, der Steinewerferin allerdings nur aus einem einzigen Grund: Ihr Protest richtet sich »gegen das repressive Krisenregime von Präsident Nicolás Maduro«, also »gegen das sozialistische Regime in Venezuela«. (sämtliche Zitate aus der FAZ vom 12. Mai 2017). Völlig egal, dass dort Randale und Krawall auch mit Schusswaffengebrauch einhergehen, die mittlerweile über 40 Toten der letzten Wochen werden einfach dem »Regime« in die Schuhe geschoben. Das kann man machen, ohne direkt zu lügen: In einer AFP-Meldung, abgedruckt in der Berliner Zeitung vom 17. Mai heißt es zum Beispiel, dass ein 17jähriger gestorben sei, weil er »während einer Demonstration von Regierungsgegnern … aus einer Gruppe heraus beschossen« worden sei. Diese Meldungen sind meistens so konstruiert, dass der Eindruck entsteht, die Verantwortung für die Tode läge bei der Regierung. Dabei kann man dies in der Regel zu Meldezeitpunkt gar nicht wissen. Die junge Welt berichtete, dass man der Polizei nur die Verantwortung für den Tod zweier Demonstranten nachweisen konnte, drei Beamte wurden umgehend verhaftet.

Wieso hetzen aber die FAZ und fast alle privaten, aber auch öffentlich-rechtlichen Medien im deutschsprachigen Raum so hemmungslos gegen die gewählte Regierung Venezuelas? Weil diese sich des größten Verbrechens schuldig gemacht hat, das man sich aus Sicht der im Kapitalismus Herrschenden begehen kann: Sie kümmert sich zu wenig um die Reichen, also um optimale Bedingungen für rücksichtslose Profitmaximierung, dafür aber zu sehr um die Belange ärmerer Schichten. Um den Unmut der Reichen auf sich zu ziehen, bedarf es heute keiner sozialen Revolution mehr, also der Überführung der wichtigsten Produktionsmittel in Gemeineigentum. Es genügt unter bürgerlich-kapitalistischen Bedingungen bereits eine zu soziale Politik.

Auch in Deutschland wird so was nicht gerne gesehen, wie die FAZ in der selben Ausgabe vom 12. Mai 2017 kundtut. Zunächst vermeldet sie auf Seite eins, dass der deutsche Staat bis zum Jahr 2021 mit 54 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen rechnen kann. Und weil die FAZ die Handlungsanleitung für das politische Personal zu vermitteln hat, muss sie das auf gleicher Seite entsprechend kommentieren. Diesmal übernimmt Heike Göbel die Aufgabe. Sie stellt zunächst fest, dass es jetzt Zeit und Möglichkeit für eine Senkung der Einkommenssteuer gäbe. Davon sollen aber keineswegs die »ärmeren Schichten« profitieren. Denn viel zu lange habe die große Koalition, angetrieben von Grünen und Linken, »die soziale Marktwirtschaft auf das Adjektiv reduziert. Es wird Zeit, den Marktgedanken zu stärken …« Kurzum, Schluss mit den Resten sozialer Wohlfahrt. Stattdessen müssten die Einkommen und Unternehmergewinne der Reichen weiter gestärkt werden. Was die mit dem Geld machen? »Einige werden Wagnisse eingehen und investieren, andere werden sich Konsumwünsche erfüllen, die Rente aufbessern oder Geld für gute Zwecke stiften. Auf jedem dieser Wege fließt privates Geld dahin, wo sich die Bürger den meisten Nutzen versprechen …« Noch nicht deutlich genug, welche Bürger gemeint sind, wessen Interessen hier vertreten werden? Gemach, es geht im gleichen Stil weiter. Eine Steuersenkung sei dann richtig umgesetzt, wenn »die überfällige Entlastung nicht verbrämt wird mit falschen Erwägungen sozialer Gerechtigkeit«. Eine Steuerentlastung müsse bei den oberen Einkommen ansetzen, »auch wenn ärmere Schichten davon nicht direkt profitieren«.

Nicht nur soziale Gerechtigkeit ist also falsch, sondern bereits deren Erwägung. Deshalb wird in der gleichen Ausgabe der Zeitung in einem anderen Kommentar eine weitere konkrete Handlungsanweisung gegeben: Es müsse »deutlich mehr Geld« für die Rüstung ausgegeben werden! Auch diese Forderung wird wieder mit guten Argumenten untermauert: »Es kommt darauf an, dass Deutschland deutlich mehr Geld in das investiert, was die (meist) unsichtbare Voraussetzung für unsere Freiheit und unseren Wohlstand ist: Sicherheit.« Die Sicherheit wird also in Deutschland, Europa und in der Welt nicht durch Kriege und Ausbeutung bedroht, sondern durch mangelnde materielle Voraussetzungen für eine aktive deutsche Kriegspolitik. Da ist sogar was dran: Schließlich geht es der besitzenden Klasse um Freiheit für eine ungehemmte Profitmaximierung, nur die sichert ihren Wohlstand. Sicherheit für diese Art Freiheit wird künftig nur durch eine aggressive deutsche Armee gewährleistet. Wer sich solchen Aufgaben ernsthaft in den Weg stellt, bekommt Schwierigkeiten. Und zwar nicht nur von der kochtopfdeckelschlagenden Oberschichtsfrau oder der steineschmeißenden Guerillakämpferin.

Letztere ist übrigens die 44 Jahre alte Fitness-Trainerin Caterina Ciarcelluti, die über das Netz »gleichermaßen Fitness-Fotos und politische Bekenntnisse verbreitet« (FAZ). Zur Ikone ist sie vor allem durch die Medien geworden, genauer durch einen Fotografen der französischen Nachrichtenagentur AFP, wie die FAZ mitteilt. Die vom Kapital abhängigen Medien entscheiden, welche Personen und welche Ideen groß rauskommen und welche nicht.

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