Er las kühl
Von Gisela SonnenburgHermann Beil, seit den 70er Jahren Dramaturg unter Claus Peymann, derzeit Chefdramaturg am Berliner Ensemble, las am Wochenende aus dem Roman »Auslöschung« von Thomas Bernhard, nicht sitzend, sondern am Pult. Beil, dem Bernhard drei Dramolette widmete, ist ein Steher. Er las kühl, die Konsonanten betonend, in der Tonlage eines Nachrichtensprechers. Nüchtern. Trocken. Aber ist all der kühl-sarkastisch vorgerechnete Ekel in Bernhards Prosa ernst zu nehmen? Ist da nicht auch Selbstironie dabei? Das Buch, in den 80ern Kult, beschreibt das Faschistoid-Bürgerliche der österreichischen Provinz auch am Beispiel des Elternhauses des Ich-Erzählers. Er wohnt in Rom mit freiem Blick auf die Piazza della Minerva (Schutzgöttin der Poesie). Als ein Telegramm mit der Nachricht vom Unfalltod der Eltern und des Bruders eintrifft, muss er ins ungeliebte Wolfsegg, ins vermuffte Schloss der nun toten Eltern. Wir alle hätten so ein Wolfsegg, das wir hassen und loswerden wollten, ohne es zu schaffen, meinte Bernhard. Hermann Beil glaubt man allerdings kein Wort. Er ist ein Vorleser für Rentner, die so oft belogen wurden, dass sie an nichts mehr glauben. Im Gegensatz dazu haben Menschen mit Hoffnung auch Emotionen. Nächstes Mal also besser ins Theater.
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