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Aus: Ausgabe vom 17.06.2017, Seite 16 / Aktion
Aktion

Gepflegte Lügen

Es gab nur einen antifaschistischen ­deutschen Staat
Von Dietmar Koschmieder
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Hoyerswerda im September 1991: Tagelang hatte hier ein neonazistischer Mob gegen die Bewohner des Wohnheims für Asylbewerber und Vertragsarbeiter gewütet

So funktioniert das: Jahrelang wird etwas behauptet, und irgendwann findet sich die passende Studie, die die Lüge bestätigt. Eine der widerlichsten Behauptungen über die DDR ist, dass der erste sozialistische Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden nicht antifaschistisch gewesen sei, sondern im Gegenteil besonderen Nährboden für faschistische Gesinnung geboten hätte. Eine passende Studie dazu wurde im Mai präsentiert: »Der Rechtsextremismus ist in Ostdeutschland eben doch ein besonders großes Problem – das ist jetzt regierungsamtlich bestätigt«, meldet der Berliner Tagesspiegel vom 18. Mai. Die Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung wurde von der Ost-Beauftragten der Bundesregierung in Auftrag gegeben. »Ein Blick über die Studie hinaus lässt zudem erkennen, dass Rechtsextremismus auch in anderen östlichen Ländern (mit Berlin) ein akutes Problem bleibt«, ergänzt der Tagesspiegel. Die Sozialisation in einer buchstäblich geschlossenen Gesellschaft wie der DDR könne als Ursache nicht stark genug betont werden, heißt es in der Studie, »der Kampf gegen eine Romantisierung der DDR« müsse aufgenommen werden. Immerhin löste die Studie eine Diskussion aus, so hegt die Zeit am 24. Mai 2017 Zweifel an ihrer methodischen Qualität: »Beschreibende Erzählung statt prüfbarer Analyse«, heißt es schon in der Überschrift. Aus 40 Interviews in drei Orten könne man keine Aussagen über die politischen Haltungen der Ostdeutschen treffen, bemängelt die sächsische CDU die Studie.

Romantisierung der DDR? Nicht erst seit 1990 wird die DDR um jeden Preis verteufelt. Dabei stehen von Anfang an auch andere Studien zur Verfügung, die dieser gepflegten Lüge über eine DDR-Bevölkerung, die besonders anfällig sei für rechtsradikale Tendenzen, widersprechen: Im Herbst 1991 – also nur wenige Monate nach dem Ende der DDR, aber noch vor den ausländerfeindlichen Gewalttaten in Rostock-Lichtenhagen und anderswo – fragte das Meinungsforschungsinstitut Emnid: »Das Ausländerproblem hat rechtsradikale Tendenzen aufkommen lassen. Haben Sie für diese Tendenzen Verständnis?« Von den Westdeutschen zeigten 38 Prozent Verständnis, von den Ostdeutschen lediglich 21 Prozent. Kein Verständnis für rechtsradikale Tendenzen zeigten hingegen 77 Prozent der Ostdeutschen, bei den Westdeutschen nur 61 Prozent (veröffentlicht im Spiegel vom 25. November 1991).

Zahlen und Daten werden auch zu Propagandazwecken zusammengestellt. Veröffentlicht und diskutiert wird das, was ins Konzept passt. Tatsache ist, dass Asylbewerberheime in der BRD schon seit Anfang der 80er Jahre brannten. Wenn überhaupt, interessierte sich bestenfalls die Lokalpresse dafür. Als es dann in den neuen Bundesländern Gewalt gegen Ausländer gab, wurde dies in den Mittelpunkt gestellt – mit der Absicht, Stimmung für die Zerschlagung des Asylrechts und gegen die DDR zu machen. Interessante Auskunft zu diesem Thema gibt eine von der Hans-Böckler-Stiftung im Januar 1992 veröffentlichte Studie zum Rechtsextremismus in Ost- und Westdeutschland. Dort heißt es: »Weiterhin fällt auf, dass das Schwergewicht der Berichterstattung und die Richtung der meisten Problemzuschreibungen sich den gewalttätigen Aktionen und Übergriffen in den neuen Bundesländern zuwendet. Es scheint heutzutage sehr verführerisch zu sein, in der Bundesrepublik gerade unter der Themenstellung ›Rechtsextremismus‹ oder ›Rassismus/Nationalismus‹ die manifesten Formen in Ostdeutschland zum zentralen Punkt des Nachdenkens oder Nachforschens zu machen. Nun halten auch wir eine Auseinandersetzung mit diesen schrecklichen Erscheinungen im Osten der Republik in der Tat für zwingend geboten (…). Die zweifellos notwendige Auseinandersetzung darf jedoch nicht zu einem Ablenkungsmanöver von den hiesigen Verhältnissen verkommen. Die alte BRD-Realität könnte auf eine solche Weise als eine angeblich ›ausländerfreundliche Idylle‹ verzeichnet werden, vielleicht verbunden noch mit einem Appell an die alten BRD-BürgerInnen, diese müssten nun den neuen BRD-BürgerInnen beibringen, was ›Toleranz‹ und ›Offenheit‹ heißt. Ein Hinweis sollte uns gerade in diesem Zusammenhang nachdenklich machen: von den 58 Brandanschlägen, die in den ersten acht Monaten des Jahres 91 gegen Arbeitsmigranten und Flüchtlingswohnheime verübt worden sind, ereigneten sich 42 in Westdeutschland (…). Und ein Drittel aller Brandanschläge gegen Unterkünfte von Flüchtlingen – über 300 von August bis November 1991 – wurden alleine in Nordrhein-Westfalen verübt, so der BKA-Präsident Hans-Ludwig Zachert (...).«

Streit um diese unterschiedlichen Sichtweisen blieb auch in der jungen Welt nicht aus und war einer der politischen Hintergründe, die zum Bruch vor genau 20 Jahren führten. Zunächst galt für alle in Verlag und Redaktion, dass in der alten Bundesrepublik Rechtsextremismus, Rassismus und Nationalismus nicht von den Rändern ausgingen, sondern in der Mitte der Gesellschaft entstanden sind. Unumstritten war zudem, dass es auch in der DDR solche Erscheinungen gab, dazu waren Westen und untergegangenes 1.000jähriges Reich zu nahe. Aber sie waren nicht in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt, sondern Überbleibsel und Randerscheinungen. Die DDR war nicht zufällig ein konsequent antifaschistischer Staat: Es waren Antifaschistinnen und Antifaschisten, die KZ, Folterhölle und Kriegsmaschinerie überlebt hatten, die an vorderster Stelle diesen Staat aufbauten. Das sah die Jungle World-Fraktion anders.

Diese Haltung prägt die junge Welt bis heute, sie tritt weiter gegen Faschisierungstendenzen in Deutschland und weltweit an. Ob sich da bei den Antideutschen von der Jungle World etwas geändert hat? »Was sich geändert hat, ist auch, dass das von vielen Linken in den Neunzigern befürchtete Szenario, Deutschland würde die Vorreiterrolle bei der Faschisierung der Welt übernehmen, nicht eingetroffen ist. Jetzt scheint es genau umgekehrt. Weil die Verhältnisse international so heruntergekommen sind, wird Deutschland mit Merkel schon fast als antifaschistischer Hoffnungsschimmer gesehen«, meint Jungle World-Chef Bernd Beier. Und seine Kollegin Julia Hoffmann ergänzt: »Was man in den letzten Monaten in der Jungle World zu Merkel gelesen hat, war ja auch keine dezidiert antideutsche Position mehr, im Gegenteil, das war oft sogar affirmativ.« (Jungle World, 8. Juni 2017). Na dann …

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