Bruno Mahlow 80
Von Robert AllertzNach der Schlacht fehlten alle Knöpfe an seinem Ledermantel und in der Kamera der Film. Diesen hatten sie ihm johlend aus dem Gehäuse gerissen und unbrauchbar gemacht. Die fanatischen Sprechchöre, die er nicht verstand, begleiteten die Gruppe bis zum Flugplatz. Die jungen Leute hatten geschrien und das rote Büchlein mit der rechten Hand rhythmisch über ihre Köpfe gereckt. Bis zur Gangway. Die Botschaftsangehörigen und deren Familien waren die Stufen hinauf zur Aeroflot-Maschine geeilt, die sie zurück in die sowjetische Heimat bringen sollte. Bruno Mahlow, keine 30, Erster Sekretär an der DDR-Vertretung in Beijing und auch deren Parteisekretär, hatte wie alle anderen DDR-Diplomaten die sowjetischen Kollegen bei deren zwangsweiser Abreise geschützt. Die Sowjetbotschaft lag seit einiger Zeit in der »Fanxiuzheng lu«, was soviel wie »Straße der Antirevisionisten« heißt. Die demonstrative Umbenennung machte den Dissens zwischen Moskau und Beijing sichtbar: Der Umgang des Kreml mit Stalin und der Geschichte galt in den Augen der chinesischen Führung als Ausdruck von Revisionismus, weshalb man nunmehr mit der Sowjetunion und diese wiederum mit China völlig gebrochen hatte.
Etwa zwanzig Jahre nach dem Vorfall 1966 in Beijing – die chinesische Kulturrevolution war längst Geschichte, und die Beziehungen zwischen China und der DDR waren nach Honeckers Staatsbesuch wieder normalisiert – lud man die Mahlows ins Reich der Mitte. Er und seine Frau, die damals ebenfalls Opfer der Roten Garden geworden war, wurden behandelt wie Staatsgäste. Auch Beijing hatte ein sehr gutes Gedächtnis, selbst wenn man darüber nicht sprach ...
Von Begebenheiten dieser Art, in welchen die große Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung mit persönlichen Begebenheiten auf erhellende Weise verknüpft ist, weiß Bruno Mahlow zuhauf zu erzählen. Das hängt, natürlich, mit seinem Lebensweg zusammen. Er kam als Kind kommunistischer Emigranten in Moskau zur Welt und 1947 nach Berlin, er studierte am Institut für Internationale Beziehungen in Moskau, war DDR-Diplomat und Parteiarbeiter auf internationaler Bühne, darunter auch Vizechef des Freundschaftskomitees DDR–China. Im ZK leitete er zuletzt die Abteilung Internationale Verbindungen. Heute ist er im Ältestenrat der Linkspartei aktiv und gibt z. B. Bücher heraus. Zu seinem 80. Geburtstag schenkte sich Bruno Brunowitsch M. ein neues mit dem Titel »Ein Hoch auf die Russen und die Revolution«. Wir gratulieren – zum Jubiläum und zum Buch.
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