Alternativen vom Millerntor
Von André Scheer, HamburgHamburg. Das Stadion des FC St. Pauli am Millerntor in Hamburg liegt mitten in der »blauen Zone«, über die Hamburgs Sicherheitskräfte den faktischen Ausnahmezustand verhängt haben. An Fußball ist in dieser Situation kaum zu denken. Das Stadion, an dessen Wänden Losungen wie »Kein Fußball den Faschisten« und »Kein Mensch ist illegal« prangen, dient in diesen Tagen deshalb einem anderen Zweck: Am Dienstag abend wurde hier das alternative Medienzentrum FC/MC eröffnet. FC/MC steht für Free Critical Media Center, also Freies kritisches Medienzentrum. Und der Name ist Programm, wie bei der ersten Pressekonferenz auf der Tribüne des Stadions Paul Ratzel und Maren Grimm erläuterten. Man wolle der Übermacht der offiziellen Medien und der Pressestellen der Staatsgäste eine Alternative entgegensetzen. Die Polizei habe etwa angekündigt, mit einem speziell eingesetzten Team bei Twitter die Meinungshoheit erobern zu wollen. Das werde das FC/MC verhindern.
Das Zentrum wird den Ansprüchen von Profis durchaus gerecht. Zur Verfügung stehen Arbeitsplätze für Journalisten mit Internetanbindung, aber auch zwei komplette Fernsehstudios. Täglich werden Pressekonferenzen angeboten, bei denen Organisatoren von Aktionen zur Wort kommen, aber auch zum Beispiel Referenten der Gegenveranstaltung »Gipfels für globale Solidarität« eingeladen werden. Übertragen werden die Statements per Livestream im Internet in alle Welt.
Beim Auftakt am Dienstag informierte etwa Gudrun Schoppe über die Kunstperformance »1.000 Gestalten«. Man wolle damit Bilder in die Welt setzen, die mehr Solidarität und Menschlichkeit ausdrücken, sagte sie. Für die Aktion, bei der graue, gesichtslose Personen durch die Straßen wanken, hätten sich bereits mehr als 1.000 Freiwillige gemeldet.
Miko Hucko berichtete über den Aufruf zum »massenhaften Cornern« in Hamburg. Gemeint ist damit eigentlich das »Abhängen« an irgendeiner Straßenecke, gerne verbunden mit dem Konsum berauschender Mittel. Genau das sollte inmitten der Sicherheitszonen in der Hansestadt geschehen. »Um jeden Baum herum lässt sich eine Homezone einrichten«, fasste Hucko die Idee zusammen. Am Dienstag folgten bereits Tausende Menschen dem Aufruf und veranstalteten spontane Straßenpartys. Die Musik dazu lieferte der Hamburger Alternativsender FSK. Im Viertel St. Pauli löste die Polizei allerdings unter Einsatz eines Wasserwerfers die Party auf.
Mehrere hundert Journalistinnen und Journalisten haben sich beim FC/MC akkreditiert. Neben vielen freien Berichterstattern sind das auch Mitarbeiter von Mainstreammedien, darunter das Hamburger Abendblatt, das sich zuletzt eher als Zentralorgan der Polizei präsentierte.
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