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Aus: Ausgabe vom 21.09.2002, Seite 16 / Aktion

Antizyklische Sympathiewerbung

Jetzt vernetzen! Heute: junge Welt und Kabarettisten
Von Christof Meueler und Dr. Seltsam

Zensur findet statt. Im Feuilleton der jungen Welt hängt ein Zettel mit verbotenen Wörtern. Darauf kann man lesen, was die Leser nicht lesen sollen. Formulierungen, die noch abgedroschener sind als die Aussage, etwas wäre abgedroschen. Wörter wie »Scheibe« oder »Silberling« (für CDs), Bezeichnungen wie »Generation (X, XXL)«, »buntes Völkchen«, Beschimpfungen wie »Warmduscher«, »Gutmensch« oder Füllwörter wie »alldieweil«, »zuvorderst« sind aus jedem abgegebenen Artikel zu streichen, sonst droht das spätstalinistische Weltgericht.

Fürs Kabarett ließe sich ergänzen: »Political Correctness«, »Schwarz Rot Geld«, »betroffen machen«, »heiße Eisen« und natürlich den Spiegel vorhalten wollen und das Lachen im Halse steckenbleiben lassen. Nein, wir wollen niemals mehr einschlafen. Weshalb wir auch keine Comedy machen, denn wir sind noch viel pädagogischer als die Leute, die ihre Artikel mit verbotenen Wörtern »würzen«, wie die garantiert sagen würden. Wir sind so pädagogisch, daß wir Pädagogik abschaffen wollen. Das geht nur mit den großen alten Ideen wie Kommunismus, Punk, Nouvelle Vague. Mindestens und manchmal klappt das sogar.

Kabarett wird dabei meistens vergessen, weil es oft nur artig ist und behauptet, nicht »zynisch« sein zu wollen. Solche verbotenen Wörter sollen andere erlauben. »Unser Kabarett pflegt Haß auf gute und Liebe zu den anderen Menschen, ist also antizyklische Sympathiewerbung. Da der Mensch an sich gut ist, muß er vom Kabarett zur Sau gemacht werden.« (schrieb das Vorläufige Frankfurter Fronttheater 1985 im Berliner Tip Magazin). Zuschlagen, Entspannen, Nachdenken. Der Rest ist »Kabarettismus« (Wiglaf Droste). Oder eben nicht, dann freuen wir uns und trinken ein Glas Bier. Mit allen Kabarettisten, die das ähnlich sehen. Auf und für die sofortige Weltveränderung. Denn Kabarett ist eine große alte Idee und kein verbotenes Wort.

Christof Meueler für das Feuilleton der jungen Welt

Muß ich des morgens früh aufstehn,
wenn mich der düstere Tag schon quält,
dann brauch ich nur hineinzusehn
in meine frische junge Welt

Zwar wird die Welt kein buntrer Ort,
es bleibt die alte braune Supp,
doch freut mich grimmig das gedruckte Wort
von balc. und Fischer und auch Rupp.

Prophezeiung 1: Ich liebe die junge Welt, weil sie mir Texte abverlangt. Falls jemand die jW meinetwegen abonniert, schenke ich etwas Persönliches dazu: Bücher, Eintrittskarten, Sekt oder ähnliches, je nach Absprache.

Prophezeiung 2: Gerhard Schröder arbeitet weiter. Zu lesen in der jungen Welt am Montag.

Dr. Seltsam

http://www.jungewelt.de/aktion/

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