Friedenspropaganda
Von Dietmar KoschmiederDie »freiheitlich-demokratische Grundordnung« ist nicht unsere, sondern die des bürgerlichen Staates Deutschland – der aber auch nicht unser Staat ist. Trotzdem verteidigen wir die im Grundgesetz nach Hunderten von Änderungen noch festgeschriebenen bürgerlichen Rechte gegen all jene, die diese weiter schleifen wollen. Die bisherigen Eingriffe in das Grundgesetz markieren die Entwicklung dieser Republik: Um 1956 die Bundeswehr einführen zu können, änderte man das Grundgesetz an 16 Stellen und baute sie zur sogenannten »Wehrverfassung« um. Als weitere große Neuerung fügte der Bundestag 1968 die Notstandsgesetze hinzu, die unter anderem im Kriegsfall oder bei einem »inneren Notstand« die dramatische Einschränkung demokratischer Grundrechte vorsehen, ohne dass die betroffenen Bürger sich auf dem Rechtsweg dagegen wehren könnten. Das wiederum wird als »Notstandsverfassung« bezeichnet. Wie immer erfolgte der Abbau demokratischer Rechte angeblich nur, um die Verfassung zu schützen, wie es die Bundeszentrale für politische Bildung in einem Beitrag formuliert: »Verfassungsänderungen blieb es vorbehalten, einzelne Grundrechte erheblich einzuschränken: Beschränkungen des Post- und Fernmeldegeheimnisses wurden zum Zweck des Schutzes der Verfassung erleichtert; die Unverletzlichkeit der Wohnung durch Zulassung des ›großen Lauschangriffs‹ eingeschränkt; das Asylrecht politisch Verfolgter in weiten Teilen abgeschafft.« (bpb.de)
Doch selbst bei den verbliebenen Grundrechten gibt es zwischen Anspruch und Wirklichkeit große Unterschiede. Der Kabarettist Dietrich Kittner spitze dies auf die Aussage zu: »Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung. Es sei denn, er hat eine.« Mit der Einführung der verfassungswidrigen Berufsverbote durch Willy Brandt und die Ministerpräsidenten 1972 wurde festgelegt, dass alle Beamte aktiv für die »freiheitlich demokratische Grundordnung« einzutreten hätten. Mehrere Millionen Beamte und Anwärter wurden seither per Regelanfrage beim Verfassungsschutz auf ihre politische Gesinnung hin überprüft. Die Folgen: unzählige Berufsverbotsverfahren, Tausende von Disziplinarverfahren, Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst oder die Verweigerung der Aufnahme in diesen. Als Grundlage wurden »gerichtsverwertbare Erkenntnisse« der Geheimdienste genutzt, wobei es sich dabei bei diesen meistens um Belege für aktives demokratisches Engagement der Delinquenten handelte: Mitgliedschaft in einer zugelassenen Partei, offizielle Teilnahme an Wahlen als Kandidat einer zugelassenen Partei, Teilnahme an Gewerkschaftsveranstaltungen gegen das Wiedererstarken faschistischer Kräfte, Durchführung von Soliveranstaltungen zum Beispiel gegen das Pinochet-Regime in Chile (nur einige Beispiele aus den Prozessakten des Autors dieses Beitrags).
Zwar schaffte als letztes Bundesland Bayern die Regelanfragen ab, gleichzeitig wurde dort eine neue Form des »Radikalenerlasses« eingeführt: Jeder Bewerber für den öffentlichen Dienst musste in einer Liste markieren, ob er Mitglied oder Unterstützer einer nach Ansicht der Behörde verfassungsfeindlichen Organisation sei. Wer beispielsweise die dort aufgeführte Partei Die Linke oder eine ihrer Vorgängerorganisationen angab, konnte vom Verfassungsschutz überprüft und abgelehnt werden. Und dass nach 1989 Zigtausenden ehemaligen DDR-Bürgern die weitere Ausübung ihres bisherigen Berufes aus politischen Gründen verboten wurde, ist eines der weitgehend unbeleuchteten Kapitel der sogenannten Wende.
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