Abrissbirne Bassgitarre
Von Thomas BehlertWie sie wurden, was sie sind: Legenden, ohne Bedeutung für die Gegenwart. Andererseits ist es gar nicht so einfach, im Popgeschäft länger als drei Alben durchzuhalten – wenn man davon leben muss.
Der im Ruhrgebiet geborene und jetzt in Leipzig wohnende Mark Daniel ist den Veteranen aus den Vorzeiten, die immer noch auf Tour sind, nachgereist. Bis tief in die Provinz hinein, wo die Reste der Bay City Rollers oder die ihrer alten Glamrock-Konkurrenten The Sweet sich sprichwörtlich den Arsch abspielen. Damit sich das auch vergnüglich liest, hat sich Daniel Gesinnungsgenossen Hümmi ausgedacht, der viel Bier verträgt, einen alten VW-Bus als Schlafgelegenheit mitführt und diesen auch reparieren kann.
»Hömma, Hümmi, willste nicht mitkommen?« fragt ihn Daniel, bevor es zu einem Interview mit Ian Gillan (Beruf: Deep-Purple-Sänger) geht. Und wen finden sie dann vor? Einen älteren Herren, »der äußerlich mit einem Rockstar soviel gemein hat wie ein Wildecker Herzbub mit Fetischklamotten«.
Die von ihm beschriebenen Rockbands spielen oft in Gegenden, die man schnell wieder vergisst, weil man sie wahrscheinlich nie besuchen will oder wird. Weiße Flecken auf der musikalischen Landkarte. Im Vogtland zum Beispiel, gleich hinter den sieben Bergen, sind die Überlebenden der Spencer Davis Group zugange. Und Leslie McKeown, vor 45 Jahren der Herrscher über die Tartan-Hosen und Tufty-Frisuren der Bay City Rollers, gastiert in der Festhalle von Schwalmstadt-Treysa. Alice Cooper geistert durch die Oberpfalz.
Natürlich spart so ein investigativer Rockjournalist nicht mit warmen Worten, wenn Gleichgesinnte beschrieben werden, die mutig ihre letzten verbliebenen Helden aufs Land holen, um mit ihnen wilde Festivalpartys zu feiern: »Unser Freund aus Irgendwo zwischen Fulda und Bad Hersfeld kredenzt ein Riesenglas Gurkenmix, den seine Mutter ihm für die vielen Lkw-Fahrten einlegt«. Doch dann reißt Suzi Quatro mit dem »Hals ihrer Bassgitarre wie eine Abrissbirne unser Gebäude aus Zweifeln nieder, bis auf die Grundmauern«. Daniel applaudiert auch den göttlichen Y & T sowie dem leider viel zu früh verstorbenen Gary Moore. Klar, man sollte von Deep Purple Abschied nehmen, aber war ihre letzte Tour auch tatsächlich ihre letzte?
Die 188 Seiten von »Rock ’n’ Roll 4evermore« sind ein literarischer Spaß, der einem vorführt, das echte Meisterschaft kein Verfallsdatum kennt und Karaokesingen nicht das Schlechteste ist.
Mark Daniel: Rock ’n’ Roll 4evermore. Irre Trips zu alten Helden. Eulenspiegel, Berlin 2018, 192 S., 14,99 Euro
Lesung: 24. Mai, Leipzig, 20 Uhr, Dr. Hops
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