Ein Mutterneider
Von Wiglaf DrosteSaddam Hussein, bei dem es sich laut Hans Magnus Enzensberger um »Hitlers Wiedergänger« handelte (siehe Der Spiegel 6/1991), hat sich posthum einen rhetorischen Wiedergänger eingehandelt. Der Ende des Jahres 2006 hingerichtete irakische Präsident Hussein hatte 1990 den Zweiten Golfkrieg als »Mutter aller Schlachten« bezeichnet; dieses pathetische Propagandavokabular wurde knapp 30 Jahre später von Horst Seehofer aufgegriffen, der Migration »die Mutter aller politischen Probleme in Deutschland« nannte und mit Mutter nicht das Stück Metall meinte, das man mit dem Schreckschraubenschlüssel traktiert.
Was folgte und folgt, sind die erwartbaren notorischen Reflexe. Die AfD claquiert und hat Grund dazu; Seehofer ist Bundesinnenminister und bekämpft die braune Konkurrenz, indem er ihr zum Munde redet. »Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft«, hieß das bei Tucholsky. Die SPD, die gemeinsam mit Seehofer regiert, öffnet ihr Retourkutschenarsenal, und Seehofer darf sich darüber freuen, dass es so einfach ist, noch den ältesten Hetzauflauf nicht nur aufzuwärmen, sondern ultrahoch zu erhitzen. Das kann Seehofer: in Skandaletten durchs Land trampeln und mit Schaum den Abschaum füttern.
Warum aber »Mutter« und gleich die »aller Probleme«? Es gibt doch auch Schwestern, Kusinen, Tanten, Töchter und/oder Geliebte. Nein, Mutter mutt – und sei es nur, weil eine Frau von vielen Deutschen zwar als »Mutti« bespöttelt wird, sich aber größerer Beliebtheit erfreuen kann als Horst Seehofer, der Mutterneider und Freund der Daumenschraube.
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