Wahre Tierrechte (18)
Von Wiglaf DrosteEinige Tiere wurden unruhig, andere gaben wütende Laute von sich, und Jochen guckte auf einmal ganz kleinlaut. Melissa hatte recht: Die Ökonomie regierte die Ökologie; in seiner Jugend hatte er das gewusst, aber er hatte sich dreingefunden, und dann hatte die Arbeit ihn so aufgefressen, dass er zum Denken einfach zu müde geworden war. In einer ganz schwachen Stunde hatte er sogar mit Önologie geliebäugelt – nichts gegen guten Weinbau, aber für wen immer teurere Weine herstellen? Für Leute, die ganze Jahrgänge im Voraus aufkauften, als Investitionsanlage, anstatt ein paar Kisten zu kaufen und mit Freunden zu trinken? Aber vielleicht hatten die ja auch keine Freunde, sondern nur Geschäftspartner?
Melissa riss ihn in die Wirklichkeit zurück. »Wir gehören schon lange nicht mehr uns selbst. Neulich Nacht träumte ich, man hätte mich aufs Titelbild von Playcow geklatscht, innendrin war ich das ›Centerfold‹ zum Ausklappen.« Die Tiere lachten bei der Vorstellung, und Melissa hatte es wieder einmal geschafft, ihre Aufmerksamkeit und Wachheit anzufachen, ohne sie zu indoktrinieren. »Wir sind keine Dinge zum Angeglotzt- und Ausgequetschtwerden! Wir sind Wesen aus Fleisch und Blut!« Die anderen Tiere liebten sie für solche Worte, und wie immer schloss Melissa ihren Vortrag mit einem Zitat eines ihrer diversen Lieblingsdichter:
»Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?«
Fortsetzung folgt
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