Der Spinatstecher
Von Wiglaf DrosteDer Verleger und Erzähler Jörg Schröder hat den Literaturbetrieb der ehrenwerten bundesdeutschen Gesellschaft so aufgemischt wie kaum jemand außer ihm; er hat die von Grass-Fürzen umnebelte, vollnarkotisierte Gruppe-47-Camarilla genauso bloßgestellt wie das Feuilleton, das seine Macht und deren rücksichtslose – ein Lieblingswort Adolf Hitlers – Anwendung als schwer seriöses Etepetete kaschierte. Er hat die Konsensmilch der frömmelnden Nichtdenkenkönnensart zurückgewiesen und statt dessen Putz gemacht. Und er hat diejenigen, die lesen und wissen und begreifen wollten, statt im stehenden Gewässer des Mainstream herumzuplanschen, mit der Wahrheit des Untergrunds versorgt. Stets ging es gegen den Muff, gegen die Lügen, auf denen die postnationalsozialistische Bundesrepublik aufgebaut war. Sein März-Verlag setzte Maßstäbe, sein als »Skandalbuch« stigmatisierter »Siegfried« ließ keinen Stein auf dem anderen.
So hemmungslos er die Landsleute – dabei sich selbst immer mit einschließend – attackierte, so wüst lebte er: klein von Wuchs und groß von Klappe, ein Hasardeur mit dickem Schlitten, ein Strizzi aus dem Puff – aber das Büchermachen verstand er. Von seinen Büchern konnte man lernen, dass Papier ein kostbarer Stoff ist, nicht für bibliophile »Fittis« (auch so ein Schröder-Wort) die nach »fußgetrampeltem Froschfotzenleder« gierten, wie Schröder spottete, sondern für die wahren Connaisseure der schwarzen Kunst, die von politischer Substanz nicht zu trennen ist.
In regelmäßiger Folge gab er ab 1990 »Schröder erzählt« heraus, erhältlich nur im Abonnement; ich war von Anfang an als Abonnent 340 sein Leser. Als ich bei Schröder das Wort »Spinatstich« las – ein Synonym für Analverkehr –, lachte ich mich vor Freude fast narrisch und strampelte vor Wonne mit den Beinen. Das konnte Schröder – in seinen besten Zeiten war er einer der wichtigsten deutschsprachigen Verleger und Autoren und auf harte Art lustig dazu. Irgendwann gingen ihm die großen Feinde aus, die Redundanz wurde sein Untermieter, und er drosch mangels anderer auf Freunde ein. Das wollte mir nicht gefallen; ich habe Jörg Schröder seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Dabei vertraue ich Jörg Schröder – vorausgesetzt, er wäre taub und blind und ich stumm. Jörg Schröder an seinem 80. Geburtstag etwas anderes als die Wahrheit zu sagen, zöge alles, wofür er lange Zeit stand, in den Kot, und das möchte ich auf gar keinen Fall.
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