Wahre Tierrechte (32)
Von Wiglaf DrosteAndreas ging es wie so vielen anderen Leuten in den letzten Tagen: Er staunte und wunderte sich und wusste nicht, ob er seinen Augen und seinen Ohren noch trauen sollte. Er hörte Tiere sprechen, als sei es ganz selbstverständlich, dass er sie verstand. »Was ist hier los?« fragte Andreas, und Jochens Augen strahlten, als er antwortete: »Was hier los ist? Das ist ein Glücksfall. Die Tiere auf meinem Hof wollten nicht mehr so weiterleben, und statt sich wegzuducken und weiter zu fügen, haben sie Rabbatz gemacht. Und das Feuer, das sie mir unterm Arsch angezündet haben, hat mich geweckt.« Er lachte. »Veränderung tut erst mal weh, da liegst du plötzlich bewusstlos und k. o. im Stroh. Aber Veränderung macht jung! Ich fühle mich so klar wie seit 30 Jahren nicht mehr, und ich glaube, zusammen mit den Tieren schaffe ich das.« Er vibrierte fast vor unausgetobter Energie. »Jetzt müssen wir erst mal die größte Hürde nehmen. Die Bank muss einfach mitziehen. Falls nicht« – sein optimistisches Lächeln verzog und verbog sich zu einem Fragezeichen –, »muss ich den Hof vielleicht dichtmachen oder verkaufen, und dann wäre unser Traum geplatzt.« Er lächelte grimmig. »Wird schon schiefgeh’n. Komm erst mal mit rein.«
Jochen wandte sich den Tieren zu, und so sah er das Lächeln nicht, das Andreas’ Mund umspielte. »Wir packen das jetzt«, sagte Jochen fest. »Die sind so von den Socken, das müssen wir ausnutzen. Lasst bitte erst mich reden, mich kennen sie wenigstens, bei euch wissen sie nicht, ob sie noch hier sind oder schon im Nirwana. Aber ein bisschen Show könnt ihr schon machen.« Er grinste vorfreudig. »Und dann, wenn es um die Wurst geht, hoffe ich auf eure brillanten Argumente und eure geschliffene Rhetorik.«
Als er zu Melissa herübersah, trat eine Frau an sie heran, die eine konfektionierte Scheußlichkeit trug, die man »Businesskostüm« nannte. »Herr Schwabedissen bittet Sie jetzt ins Meeting«, sagte sie mit geschnatzter Stimme. Sie zog eine Braue hoch, als sie die Tiere abschätzig betrachtete. »Ich weiß allerdings nicht, ob …«, sprach sie eher verunsichert, aber Jochen beruhigte sie mit von ihr unbemerkter Ironie: »Das passt schon. Hat alles seine Richtigkeit. Meine Genossenschaftler sind avisiert.«
Fortsetzung folgt
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