Wahre Tierrechte (51)
Von Wiglaf DrosteAls Jochen seinen erschöpften Kopf in die Hände stützte, fiel sein Blick zufällig auf die Rückseite der Zeitung, die Andreas hielt. Die Buchstaben vor seinen Augen tanzten Ballett; es schien sich um Tschaikowskis »Nussknacker« zu handeln. Halblaut und so unsicher wie ungläubig las Jochen vor: »Wie erkenne ich Schwaben, und wie kann ich sie entfernen?« Andreas drehte die Zeitung um, las stumm und sagte dann bedauernd: »Schade – es geht nicht um Schwaben, sondern um Schaben. Dabei wären Schwaben viel lustiger gewesen.« Langsam kam er ein bisschen auf den Boden zurück.
Jochen war froh, das Gesprächsniveau und den hohen Ton humanisierend gesenkt zu haben; ungezwungen fühlte er sich wesentlich wohler und kam mit Hilfe des geistigen Boxenstopps schnell wieder zu Kräften. Andreas bemerkte die Wiedererstarkung seines Zuhörers mit Freuden und nutzte sie sogleich – man konnte ja nie wissen, wie lange das Gegenüber durchhielt und wann es schlappmachte – zu einem neuen kleinen Vortrag. »Auf den Jesus, den sie dir am Tor an den Kopf geschmissen haben, kannst du dir übrigens etwas einbilden«, sagte er überraschend ernsthaft. »Die Blinden wieder sehen und die Lahmen wieder gehen machen ist eine Metapher; nur XXL-Deppen wie die da draußen am Gatter freuen sich kindisch darüber, dass sie das Offensichtliche nicht begreifen. Die lesen das ›eins zu eins‹, wie man so sagt, also sklavisch am Wort klebend. Darin ähneln sie den bibeltreuen Christen und den Zeugen Jehovas wie ein denkfaules Ei dem anderen; die meinen im Ernst, man müsse die Schöpfungsgeschichte ganz penibel wörtlich nehmen. Und genau solche blindfischigen Pingelköppe gibt es auch auf links und religionskritisch gestrickt.«
Fortsetzung folgt
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