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Aus: Ausgabe vom 19.01.2019, Seite 11 / Feuilleton
Sachbuch

Lange Finger

Die Psychologin Julia Shaw erklärt das »Böse«
Von Michael Saager
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»Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird«, schreibt Friedrich Nietzsche 1886 in »Jenseits von Gut und Böse«. Diese Variante seines totgenudelten Abgrund-Zitates ist eine von vielen Nietzsche-Referenzen in Julia Shaws populärem Sachbuch »Böse. Die Psychologie unserer Abgründe«. Ein bisschen zu locker runtergeschrieben, im großen und ganzen aber durchaus erhellend, will dieser Lese-»Spaziergang« der 1987 geborenen, am University College London arbeitenden Kriminalpsychologin und Bestsellerautorin »die vertrauten Kategorien von Gut und Böse über den Haufen« werfen.

Die Idee ist super, aber nicht gerade brandneu. Bereits Nietzsche wusste um die moralische Variabilität bzw. Dialektik des Bösen und argumentierte, so Shaw: »Nur wenn wir etwas das Etikett böse verpassen, nur wenn wir denken, dass etwas böse ist, wird es böse.« Das Böse in einer Person, einem Objekt oder in einer Handlung verorten zu wollen, sei viel zu einfach, meint sie und hat natürlich recht. Shaw betont, kein Mensch sei ein Monster, und legt psychologisch überzeugend dar, dass wir unter bestimmten Umständen alle Mörder werden können. Das Durchdenken einer Mordphantasie hält sie für die »ultimative Form der Impulskontrolle«.

In »Böse« geht es um den so beliebten wie gefürchteten Serienkiller (den es tatsächlich nur äußerst selten gibt), um Sadismus, Terrorismus, Pädophilie, Sklaverei, Vergewaltigung, die Nazis. Gut verständlich beschreibt Shaw etliche, häufig berühmte psychologische Versuche, in denen etwa komplexe Phänomene wie Aggression, Psychopathie oder moralische Blindheit untersucht wurden.

Oder in denen fettige Haare, lange Finger, Menschen, die sich häufig die Lippen lecken und an unvorhergesehenen Stellen lachen, eine mitunter schreckliche Rolle spielen. Die Attribute gehören zum »Katalog unheimlicher Merkmale«, den Francis McAndrew und Sara Koehnke 2016 im Zuge einer empirischen Studie mit 1.341 Teilnehmern erstellten. Die Frage ist freilich, mit wem hier was nicht stimmt. Was ist etwa mit unseren internalisierten Normen, stereotypen Vorstellungen und Intuitionen, nach denen wir am allerliebsten gutaussehenden Menschen vertrauen? Die Autorin sieht übrigens hammergut aus.

Julia Shaw: Böse. Die Psychologie unserer Abgründe. Aus dem Englischen von Claudia van den Block und Ursula Pesch, Hanser-Verlag, München 2018, 304 Seiten, 22 Euro

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