Nur eine Leertaste
Die Affäre um Claas Relotius’ literarisch angelegte Spiegel-Reportagen hat Konsequenzen für zwei leitende Redakteure des »Nachrichtenmagazins«. Ullrich Fichtner und Matthias Geyer würden »die ihnen ursprünglich zugedachten Leitungsfunktionen« nicht antreten, hieß es am Mittwoch in einer Pressemitteilung des Verlags. Fichtner wird kein Chefredakteur, Geyer nicht Blattchef, und letzterer gibt »auf eigenen Wunsch« auch die Leitung des Ressorts »Gesellschaft« ab. Dort waren Relotius’ gefälschte Reportagen vor allem erschienen. Vor Geyer war das Ressort von Fichtner geleitet worden, der Relotius protegiert hatte. Als die Fälschungen aufflogen, geißelte Fichtner nach Kräften das verhängnisvolle Wirken des phantasiebegabten Redakteurskollegen, der wusste, was von ihm erwartet wurde.
Fichtner soll nun als »Reporter mit besonderen Aufgaben (…) Titelgeschichten konzipieren und verfassen«, Geyer wird sich als »Redakteur für besondere Aufgaben (…) insbesondere um die Textqualität kümmern«.
In welche Höhen das Magazin mit seiner Exzellenzoffensive bereits vorgestoßen ist, zeigt die aktuelle Titelgeschichte über Ausraster im deutschen Alltag. Verfasst hat sie Redakteur Jörg Schindler, laut Hausmitteilung war er als Autor eines Sachbuchs zum Thema »in besonderem Maße qualifiziert für diese Aufgabe«. Sein Text ist nicht so dolle, weder vom Informationsgehalt noch vom Stil her. Aber das Finale ist furios, vor allem der drittletzte Absatz, der hier in voller Schönheit wiedergegeben soll: »Zwischen zusammenraufen und zusammen raufen liegt nur eine Leertaste. Sie nicht zu drücken erfordert eine gemeinschaftliche Anstrengung.« Das gehört in Stein gemeißelt auf die letzte Ruhestätte des Qualitätsjournalismus von der Ericusspitze. (jW)
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