»Jetzt seid ihr dran«
Von Kristian StemmlerSie müsse sich heute »weniger mit den Mackern in der Linken« herumärgern, das sei doch auch ein Verdienst der 68er, also der Frauenbewegung, bekannte Emily Laquer. Das Publikum quittierte die Bemerkung der Aktivistin mit Gelächter. Rund 150 Zuhörer waren am Donnerstag in die Freie Akademie der Künste in Hamburg gekommen, um Antworten auf die immer wieder spannende Frage zu hören: Was ist geblieben vom großen Aufbruch vor einem halben Jahrhundert? Die Podiumsdiskussion war das Finale der achten Auflage der »Erneuerbaren Lesetage – Lesen ohne Atomstrom«.
Laquer, 31 Jahre alt, Aktivistin der Interventionistischen Linken und beteiligt an den Protesten gegen den G-20-Gipfel in Hamburg 2017, vertrat die junge Generation. Ihr gegenüber saß 68er-Prominenz: Gretchen Dutschke, Witwe von Studentenführer Rudi Dutschke, und Hannes Heer, damals einer der Wortführer des studentischen Widerstands, später als Gestalter der »Wehrmachtsausstellung« in den Schlagzeilen. Leider hatte Theaterregisseur Claus Peymann wegen einer Erkrankung absagen müssen, er hätte sicher noch für zusätzliche Würze gesorgt.
Dutschke zog eine Linie von der 68er-Bewegung zu den Klimaprotesten von »Fridays for Future«. Sie freue sich, dass Schüler heute demonstrieren, statt zur Schule zu gehen. Und sie hoffe darauf, dass die Teilnahme an den Demos bei vielen das politische Bewusstsein förderten: »Jetzt seid ihr Jungen dran!«
Bei Laquer rannte sie offene Türen ein. »Ich würde 68 gern den Historikern wegnehmen«, erklärte sie. Die damalige Bewegung sei eben kein musealer Betrachtungsgegenstand, sondern »ein Moment in einer Kontinuität von Kämpfen«. Die hätten vorher angefangen und würden weitergeführt. Von den Aktionsformen der Studentenbewegungen wie Sitzblockaden hätten heutige Bewegungen gelernt. »Und damals wurde gezeigt, dass Geschichte machbar ist«, so die Aktivistin, »das macht uns Mut für kommende Kämpfe.«
Laquer kam auch auf das Versagen eines Teils der 68er zu sprechen. »Eure Sehnsüchte wurden neoliberal gewendet«, konstatierte sie, an die Mitdiskutanten gewandt. Daran aber sei vor allem der Verrat von Leuten wie Daniel Cohn-Bendit, der sich heute gegen die französischen »Gelbwesten« stelle, und Winfried Kretschmann, »der auf das Asylrecht scheißt«, schuld. Die Träume der 68er seien genutzt worden, um neue Formen der Ausbeutung zu rechtfertigen.
Hannes Heer widersprach dieser Analyse nicht. Mit Verweis auf den von Herbert Marcuse geprägten Begriff der »großen Verweigerung« empfahl er, sich den Zumutungen des von Konsum und Medien diktierten Alltags zu entziehen. »Man muss kämpfen, jeder muss kämpfen«, erklärte er.
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