Hintergrund: Gefährdet und erniedrigt
Deutschland ist das Land der Statistiken. Bei den negativen Auswirkungen des Systems, wie den dramatischen Folgen von Hartz-IV-Sanktionen, hört der Spaß aber auf. Wie viele Menschen wurden nach verordneter Mittellosigkeit obdachlos? Wie hat sich die Wohnungslosigkeit bei Hartz-IV-Beziehern entwickelt? Wie viele Sanktionierte haben keine Lebensmittelgutscheine erhalten? Wie vielen Minderjährigen haben Jobcenter den Regelsatz gestrichen, weil sie sich nicht an eine Auflage hielten? Die Bundesagentur für Arbeit (BA) redete sich auf Nachfrage erneut heraus und behauptete, keine Ahnung zu haben.
Dass die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages vor mehr als zwei Jahren zahlreiche Studien zum Thema ausgewertet hatten und zu drastischen Ergebnissen kamen, ist der BA aber sicher bekannt. In dem Papier vom Februar 2017 heißt es, Sanktionen hätten »schwerwiegende negative Folgen für die Lebenslagen Betroffener«. Unmittelbar träten demnach auf: gravierende Mängel der medizinischen Versorgung sowie der Ernährungssituation bis hin zu Hunger, Zwangsräumungen, Stromsperren, psychischen Problemen und sozialem Rückzug. Dem schließe sich oft eine Verschuldungsspirale an.
Außerdem treffe es vor allem Menschen, die mit der Bürokratie überfordert sind und bereits zuvor psychische Einschränkungen oder finanzielle Probleme hatten. Jobcenter klärten Betroffene unzureichend oder gar nicht über ihre Rechte auf. »Ohne Unterstützung würden es viele Menschen nicht schaffen, ihre Ansprüche geltend zu machen«, schreiben die Autoren. Nur knapp ein Drittel der befragten Sanktionierten habe Lebensmittelgutscheine erhalten, fühlte sich dadurch aber »sehr erniedrigt«. Diese sind keine Pflichtleistung und müssen beantragt werden. Jobcenter können sie nach Ermessen verweigern, wenn keine Kleinkinder im Haushalt leben.
Die Sanktionsbefürworter von der CDU/CSU über die FDP und die AfD bis hin zur SPD meinen, der Staat müsse strafen, um Betroffene zur Arbeit zu motivieren. Unabhängig davon, dass das Sanktionsregime wohl ungleich mehr Kosten verschlingt, als würde jedem die Existenzsicherung gewährt, führten die Autoren auch dieses Argument ad absurdum. Alle Studien zeigten klar: »Die erzieherischen Wirkungen von Sanktionen auf das Verhalten ließen sich nicht als Aktivierung oder als Stärkung von Eigenverantwortung interpretieren.« Eine Reaktion der Verantwortlichen darauf blieb bis heute aus. (sb)
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