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Aus: Ausgabe vom 15.05.2019, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Was sich nicht lehren lässt

Von Walter Kaufmann

Man wird der jungen schwarzen Angie Thomas, die an der Belhaven University in Jackson, Mississippi ihren Bachelorabschluss im Fach Kreatives Schreiben gemacht hatte, ein gerüttelt Maß an Richtlinien mit auf den Weg gegeben haben: Fabel, Aufbau, Gliederung … kurzum, Hinweise auf alles, was einen Roman handfest und gut lesbar macht.

Talent jedoch ist nicht lehrbar – Angie Thomas hat Seele, hat Gespür, hat Sinn für Atmosphärisches, ist stets am Puls des Geschehens und hinhören kann sie, dass es eine Lust hat. So wie in ihrem Roman »The Hate U Give« (gemeint ist der US-amerikanische Text) sprechen die Schwarzen der Ghettos, und so, wenn es sie in die Welt der Weißen verschlägt. Und dieser Familiensinn, dieses Einander-brauchen, Für-einander-da-sein – Angie Thomas schildert den Zusammenhalt, wie sie ihn von Kindheit an erfahren haben wird. Er ist quer durch den Roman zu spüren. In »The Hate U Give« wirkt jede Begebenheit authentisch. Und sollte es im Leben der Angie Thomas nie einen Jugendfreund gegeben haben, der von einem Streifenpolizisten erschossen wurde, ihre Schilderung, wie es zu einer solchen Gewalttat kam, lässt glauben, dass diese tatsächlich vor ihren Augen geschah: die Panik der Frau angesichts des blinkenden Blaulichts; der Trotz des jungen Schwarzen am Steuer; und diese aus der Angst geborene Schießwut des weißen Polizisten: Mord im Dunkel der Nacht auf einer öden Vorstadtstraße in Mississippi …

Damit beginne den Roman und dann steigere die Spannung bis hin zu den Protestkrawallen im schwarzen Ghetto – so wird man es ihr geraten haben, wird sie es sich selbst geraten haben. Und so und nicht anders ist ein Roman entstanden, der packender nicht sein kann, nicht aktueller angesichts all der Morde von Polizisten in den USA, ein Buch über junge Schwarze aus dem Ghetto von Jackson, das von einem Drogenboss und seiner Gang tyrannisiert wird, und über junge Weiße aus wohlhabender Gegend, die in Villen wohnen und in teuren Autos zur Schule gefahren werden. Ein Buch über junge Leute, dabei durchaus nicht nur für diese. Es gibt kurze Romane, die lang, und lange Romane, die kurz sind – die knapp 500 Seiten von »The Hate U Give« lesen sich wie im Fluge.

Angie Thomas: The Hate U Give. Aus dem amerikanischen Englisch von Henriette Zeltner, cbj-Verlag, München 2018, 512 Seiten, 9,99 Euro

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