Das Programm steht
Ist das »Floß der Medusa« ein Sinnbild für den Zustand der fortschrittlichen, der linken Kunst? Sind die Künstlerinnen und Künstler – wie auf dem Gemälde des französischen Malers Théodore Géricault aus dem Jahr 1819 – die Überlebenden ihrer Zunft? Und sind sie damit (neben anderen) Hoffnungsträger, die mit ihren Werken gegen einen Kapitalismus im Niedergang und für ein freieres Zusammenleben aktiv sind? Melodie & Rhythmus, das einzige deutschsprachige Gegenkulturmagazin, will wissen, was heute eine solche Kultur ausmacht. Darum lädt es zum 8. Juni in den Heimathafen in Berlin-Neukölln zu einer Künstlerkonferenz ein.
Der Tag ist in eine Konferenz im eigentlichen Sinne und einer Gala am Abend gegliedert. In der ersten von vier aufeinander aufbauenden Gesprächsrunden diskutiert Arnold Schölzel in seiner Funktion als Chefredakteur des Rotfuchs mit dem Liedermacher Konstantin Wecker, dem Regisseur Volker Lösch, dem Schauspieler Rolf Becker und der Schriftstellerin Gisela Steineckert über die Rechtsentwicklung in der Kultur. Im Programm heißt es dazu: »Was tun gegen die wachsende ›geistige Obdachlosigkeit‹ der Intellektuellen, wie sie Siegfried Kracauer Anfang der 1930er Jahre festgestellt hatte? Was ist nötig, um aus der Defensive serviler Anpassung und Resignation in eine antikapitalistische Kulturoffensive zu kommen, die nicht trügerische, sondern prometheische Träume entfalten kann?«
Was bedeutet diese Entwicklung für kritische Medien im Kunstbereich? Peter Hacks stellte bereits 1990 fest: »Unter den Medien schweigen die Musen«. Tatsächlich wird immer klarer, dass das Mantra von der Überlebtheit der Printmedien und das Hohelied auf das Internet auch dazu dienen, totale Kontrolle auszuüben. Unliebsame politische Positionen werden von ökonomischen und politischen Eliten per Mausklick aus dem Netz geworfen. Dietmar Koschmieder, Geschäftsführer des Verlags 8. Mai, spricht darüber mit Ekinsu Devrim Danis, Redakteurin des türkischen Magazins Evrensel Kültür, dem Konzertagenten Berthold Seliger und Ekkehard Sieker aus der Redaktion der Kabarettsendung »Die Anstalt«.
Kunst ist schon lange Ware; ihr Tauschwert ist der Antrieb für den Schaffensprozess der meisten Künstler, ihr Marktpreis ist entscheidend, nicht ihr Gebrauchswert, das sind die im Werk sichtbar gemachten Erkenntnisse über Zusammenhänge in der Welt, in der wir leben. Der israelische Kunsttheoretiker Moshe Zuckermann trägt dazu seine Gedanken vor.
Der entscheidende Gebrauchswert eines Kunstwerks ist die Darstellung der Freiheit des Menschen, und das größte Kunstwerk ist die Weltrevolution – meinte 1968 der Komponist Hans Werner Henze. jW-Chefredakteur Stefan Huth fragt daher Konstantin Wecker, den Komponisten Wieland Hoban und den Taz-Blogger Mesut Bayraktar nach Möglichkeiten revolutionärer Kunst heute.
Erinnern ist das Hereinholen früherer Erfahrungen – nicht eins zu eins, sondern aus der heutigen Perspektive. Darum ist Erinnern ein notwendiger Akt der Rettung im Untergang der heutigen Gesellschaftsform. Susann Witt-Stahl, Chefredakteurin der Melodie & Rhythmus, spricht mit Moshe Zuckermann, dem österreichischen Schriftsteller Erich Hackl und der Sängerin Esther Bejarano.
Mit einem Aufruf zu einer internationalen Front gegen rechts schließt der erste Teil der Konferenz. Er soll dem Tuchfetzen im Géricault-Gemälde gleichen, den einer der Überlebenden wie eine rote Fahne hoffnungssicher schwenkt. In dieser Stimmung beginnt nach einer Pause um 20 Uhr die Künstlergala mit dem Garagen-Rock-Trio Black Heino, dem Pianisten Chris Jarrett, dem Singer-Songwriter Shekib Mosadeq und dem Gitarristen Nicolás Miquea, derweil Erich Hackl liest.
Der Höhepunkt des Abends ist erreicht, wenn der Jazzkomponist Hannes Zerbe mit einem Quartett und Rolf Becker als Rezitator eine Komposition in Anlehnung an Hans Werner Henzes Oratorium »Floß der Medusa« uraufführt. Dieses Werk widmete der Tonsetzer 1968 Ché Guevara. Der Revolutionär war wenige Tage zuvor ermordet worden; der Titel des Oratoriums wurde ergänzt: »in memoriam Che Guevara«. Das bürgerliche Publikum war entsetzt; Musiker weigerten sich zu spielen; es kam zu Tumulten; die Polizei knüppelte auf die anwesenden Studierenden ein; das Stück konnte nicht zu Ende aufgeführt werden; die Trommel im Rhythmus von »Ho-Ho-Ho Chi Minh«, blieb ungehört. In Erinnerung an dieses Ereignisses und mit den Erinnerungen an das Jahrhunderte währende Leiden und Hoffen, die in Henzes Komposition eingeflochten sind, ist Zerbes »Floß der Medusa« auch Sinnbild für diese Künstlerkonferenz – ein Manifest für eine linke Gegenkultur.
Verlag und Redaktion
Das vollständige Programm ist auf melodieundrhythmus.com einzusehen. Tageskarten, aber auch Karten für den Diskussionsteil bzw. für die Gala können dort bestellt werden
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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