75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Freitag, 22. November 2024, Nr. 273
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 13.08.2019, Seite 3 / Schwerpunkt

Hintergrund: Als die Presse den Kodex kippte

»In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.« Denn die Erwähnung könne Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen schüren. So hieß es unter Ziffer 12.1. im deutschen Pressekodex, den Publizistischen Grundsätzen des Presserates, bis Anfang 2017.

Zum Verständnis beitragen kann die Nationalität etwa bei einem rassistischen Übergriff. Die Religion spielt gewöhnlich bei einem religiös motivierten Anschlag eine Rolle. Mehr aber auch nicht. Doch diese Regel ist passé. Inzwischen ist die Herkunft von Verdächtigen oft selbst bei Kleindelikten zu erfahren. Mehr noch: Es gibt einen Trend bei Polizei und Presse, mutmaßliche oder tatsächliche Straftaten von Geflüchteten besonders ausführlich zu behandeln. Wie kam es dazu?

Es war die Sächsische Zeitung, die im Juli 2016 als erstes Medium erklärte, hier gegen den Pressekodex zu verstoßen. Man werde »die Nationalität von Straftätern künftig immer nennen«, schrieb das Blatt unter dem Titel »Fakten gegen Gerüchte«. Damals marschierte Pegida seit anderthalb Jahren mit »Abschieben«- und »Lügenpresse«-Gebrüll durch Dresden. In weiteren Städten hatten sich Ableger des rassistischen und islamfeindlichen Bündnisses gebildet. Die Regionalzeitung fühlte sich offensichtlich unter Druck gesetzt. Mittels einer Leserumfrage habe sie herausgefunden, dass jeder vierte ihrer Abonnenten glaube, sie verschweige die Herkunft ausländischer Täter aus Rücksicht auf diese.

Bereits zuvor hatte der Presserat die Richtlinie diskutiert, sie aber zunächst belassen. Das änderte sich im März 2017. Seither heißt es darin, es sei »darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit (…) nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung führt«. Man dürfe sie aber nennen, wenn »ein begründetes öffentliches Interesse besteht«. Im Juni 2017 folgte dem die Deutsche Presseagentur (dpa). Ein Sieg für rechtsaußen, der zweierlei ersichtlich nicht bewirkt hat: Vorurteile einzudämmen und das Vertrauen in die Medien zu steigern. Im Gegenteil, regelmäßig sind die Kommentarspalten unter Berichten über deutsche Tatverdächtige gefüllt mit besonders rassistischen Spekulationen bis in die Ahnenreihe des Genannten hinein. Und so kann es auch schon mal passieren, dass rassistische Vorurteile ungeprüft von der Polizei übernommen werden. Wie im Fall des Düsseldorfer Rheinbades. (sbo)

Mehr aus: Schwerpunkt