Was wissen wir schon?
Als Johanna Adorján in diesem Jahr die Beantwortung der wöchentlichen Gewissensfrage im Magazin der Süddeutschen Zeitung übernahm, mögen sich Liebhaber dieser Rubrik zur Erörterung alltagsmoralischer Konflikte an den Kopf gefasst haben: Flapsige Girlie-Texte sollen die überfeinerten Erwägungen des Rainer Erlinger ersetzen? Fast 17 Jahre lang hatte der Arzt und Jurist sich über die Problemstellungen der Leser den Kopf zerbrochen, jedesmal bis zur Lächerlichkeit Für und Wider erwogen – kreist Frau Adorján nicht viel zu sehr um sich selbst, kann sie das überhaupt ernst nehmen? Die Antwort war die Folge vom Freitag. Es ging da um eine Affäre von Elternteilen, die die Fragenden aus der Schule ihrer Tochter kannten. Soll man sie im privaten Rahmen drauf ansprechen? Ja, warum denn nicht, sollte man meinen. Steht ja nun mal im Raum, der weiße Elefant, und man muss ihn ja nicht schlechtfinden, um drüber zu reden. Adorján aber »hatte mal einen Therapeuten«, der nannte die Verheimlichung von Affären »beziehungsschützend«, und darum sagt sie: »Sie müssen sich nicht unwohl fühlen, weil sie etwas ›verschweigen‹, es hat sie ehrlich gesagt nichts anzugehen.« Und überhaupt: »Was wissen wir über das Leben anderer Menschen?« Absatz (das hat gesessen). Adorján schließt mit einem Happyend aus Hollywood: »Was hat denn Moral mit irgendwas zu tun? Wie sagt so schön Katharine Hepburn zu James Stewart im Film ›The Philadelphia Story‹ (1940): ›Der richtige Zeitpunkt, sich über andere eine Meinung zu bilden, ist: Nie.‹« Die Pointe: Adorján wird in der kommenden Woche weitermachen, weil es zur Erörterung der Regeln des Zusammenlebens weder solche Regeln noch überhaupt ein Zusammenleben im engeren Sinne braucht. (xre)
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