Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Sa. / So., 21. / 22. Dezember 2024, Nr. 298
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 08.01.2020, Seite 13 / Kapital & Arbeit
Flucht, Migration und Klassenkampf

Gleiche Rechte für alle

Von Yusuf As
RTX2AZ78.jpg
Ausbildung von Geflüchteten bei Siemens (Berlin, 21. April 2016)

Wer neue Kolonialkriege anzettelt, vertreibt Millionen Menschen. Wer dem Klimawandel, wenn überhaupt, nur in der Europäischen Union begegnen will, steigert Migration. Wer weltweit stetig mehr Armut verbreitet durch eine Wirtschaft, die tötet, lässt den Verzweifelten nur Flucht als Ausweg. Die Hauptverursacher von Kriegsnot, Umweltzerstörung und Elend sitzen im Westen – sie führen seit Jahrzehnten einen Klassenkrieg gegen die Armen dieser Welt, nicht gegen die globale Armut. Sie nutzen die vergleichsweise geringe Migration in die EU, um Nationalismus und Faschismus zu fördern und um Arbeiter- und Friedensbewegung, kommunistische und sozialistische Linke zu spalten und zu schwächen. Für die einen sind es Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt, für uns Klassenschwestern und -brüder. Wie geht die Linke in der Bundesrepublik damit um? Und welche Rolle spielt dabei die Systemfrage?

Über diese und andere Fragen werden am kommenden Sonnabend die Teilnehmer des Podiumsgesprächs auf der XXV. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt mit Chefredakteur Stefan Huth diskutieren. Wir stellen hier die Positionen der geladenen Gäste vor. (jW)

Seit jeher ist Migration ein Teil der Menschheitsgeschichte. Und seit den ersten Tagen des Kapitalismus gehört die Arbeitsmigration zum System dazu. Sie vollzieht sich unabhängig vom individuellen Willen. Die kapitalistische Ausbeutung von Mensch und Umwelt, vor allem in abhängigen bzw. »kolonialisierten« Staaten, wirkt hierbei als Brandbeschleuniger.

Die Herrschenden in den kapitalistischen Ländern machen sich Migration und Migranten zunutze, um Löhne und soziale Standards zu senken und demokratische und soziale Rechte einzuschränken. Heute merken wir einen starken Rechtsruck in nahezu allen westlichen kapitalistischen Ländern, und sogar die bürgerlichen Freiheitsrechte, auf die sich kapitalistische Herrschaft als unantastbare und alternativlose in der Regel immerzu beruft, stehen zur Disposition. Das Ganze geht einher mit der Abschaffung von sozialen Absicherungen und arbeitsrechtlichen Standards, um die Ausbeutung der Arbeitskraft von einheimischen und zugewanderten Arbeitskräften weiter zu verschärfen.

Rassistische, sozialdarwinistische und populistische Ideologien wurden und werden hierfür salonfähig gemacht. Die damit bezweckte Spaltung der Werktätigen soll einen organisierten Kampf gar nicht erst entstehen zu lassen. Noch bevor der Aufstieg der AfD begann, waren mit Diskussionen über wirtschaftlich »nützliche und unnütze Ausländer« die Grundlagen für eine rassistische hegemoniale Migrationspolitik gelegt worden.

Denn in der Einheit der Arbeiterklasse liegt ihre Kraft, und diese Bedrohung versuchen die Herrschenden durch Manipulation und ideologisches Blendwerk erst gar nicht entstehen zu lassen. Diese Einheit ist jedoch Voraussetzung für einen erfolgreichen Klassenkampf, und eine politische Linke, die einen Systemwechsel herbeiführen und den Kapitalismus abschaffen will, muss ihre Positionen zu allen Themen der Migration aus diesem Blickwinkel betrachten. Die Fluchtursachen liegen tief im globalen System des Kapitalismus begründet und können demgemäß auch nur im Bewusstsein dieses Umstands angemessen bekämpft werden. Viele einheimische Arbeiter allerdings erblicken in den Flüchtlingen und Migranten eine bloße Konkurrenz, anstatt sie als Klassenbrüder anzuerkennen.

Schon immer suchte man die Antwort auf die Frage, warum sich breite Volksmassen der Politik der herrschenden Klassen fügen, obwohl die sie unterdrücken und ausbeuten, ihrer Zukunft schaden und im Widerspruch zu den eigenen Interessen stehen. Leider gibt es darauf keine einfache Antwort. Ein wesentlicher Faktor ist, dass die kapitalistische Klasse alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzt, ihre eigenen Interessen als gesamtgesellschaftliche Interessen zu tarnen. »Wir alle [wahlweise angerufen als »Volk«, »Nation« oder »Bürger«] sitzen im selben Boot«; »den Menschen in Deutschland ging es nie besser«; »Alles zum Schutze des Standorts Deutschland«. Diese Phrasen wurden schon so oft vorgebracht, dass sie als wahr gelten. Die »Nation« jedoch, das zu erkennen wird unvermeidlich sein, ist keine homogene Struktur, sondern setzt sich aus gegensätzlichen Klassen zusammen, und eine vorteilhafte Entwicklung für die eine Klasse bedeutet Nachteile für die andere. Was für den Kapitalisten profitabel ist, führt auf seiten der Arbeiter zu Verlusten beim Lebensstandard, beispielsweise durch ausbleibende Lohnerhöhung, oder zu Einschränkungen sozialer Rechte. Insofern das deutsche Kapital imstande ist, seine Interessen als die des gesamten Landes und mithin auch der Arbeiter darzustellen, ließen sich letztere mit dem Argument des Erhalts der Arbeitsplätze in prekäre Beschäftigungsverhältnisse drängen, wurden Leiharbeit und Minijobs eingeführt und ausgedehnt und das Renteneintrittsalter erhöht.

Immer wieder spielten dabei Migranten und billige Arbeitskräfte aus dem Ausland eine besondere Rolle. Neben dem Nationalismus und der Demagogie vom nationalen Interesse gehörte die Instrumentalisierung religiöser Überzeugungen stets zu den Faktoren, durch die Widerstand geschwächt und Arbeiter an die Politik des Kapitals gebunden wurden. Die Bildung von künstlichen Lagern aus Muslimen und Christen führt dazu, dass die Arbeiter ihren Zorn nicht gegen ihre wahren Feinde, sondern gegen ihre Klassengeschwister richten. Die in Europa bestehende »Islamophobie« ist ein Resultat dieser Entwicklung und führt unter europäischen Arbeitern zu der falschen Annahme, ihre Interessen stünden im Widerspruch zu denen der muslimischen Arbeiter mit Migrationshintergrund, und die Migration verschlechterte die eigenen Arbeitsbedingungen. Die muslimischen Arbeiter in Europa, denen man das Leben schwer macht, ziehen hingegen für sich die Schlussfolgerung, sie seien wegen ihres Glaubens unerwünscht. So betrachten sie sich nicht in erster Linie als Arbeiter, sondern definieren sich über ihre Ethnie oder Religion.

Diese Spaltung und Polarisierung führt schließlich dazu, dass der wahre Ursprung der gesellschaftlichen Widersprüche nicht erkannt wird. Die kapitalistische Klasse wird nicht mehr für bestehende Probleme verantwortlich gemacht. Den Gegner erblickt man in jenen, die an einen anderen Gott glauben oder die Heilige Schrift anders auslegen. Als diejenige Kraft, die sich für die Befreiung der Arbeiterklasse einsetzt, muss die politische Linke um die Arbeiter und Werktätigen kämpfen, die nicht erkennen, dass ihr wahrer Gegner das Kapital ist und nicht etwa andere Nationen und Religionen, damit auch sie sich gegen das Kapital stellen, um ein besseres Leben führen zu können. Dafür ist einerseits der Kampf gegen die Ideologie des Kapitals notwendig, die heute die Arbeiter und die Gesellschaft insgesamt beherrscht. Andererseits müssen wir uns dafür einsetzen, dass die Arbeiter ihren praktischen Kampf gegen die aus der Natur des Kapitals erwachsenden Widersprüche verstärken.

Bei kaum einem der politischen Kämpfe von heute ist zu erkennen, dass die Arbeiterklasse als Klasse eine entscheidende Rolle spielt. Die Arbeiter beteiligen sich zwar an diesen Kämpfen, aber diejenigen, die diesen Kämpfen aus ideologisch-politischer Sicht ihren Klassenstempel aufdrücken, sind die Kleinbürger und die Mittelschicht oder verschiedene Kapitalgruppen. Um demokratische Reformen oder ökonomische Kämpfe erfolgreich zu Ende zu führen, um Veränderungen einzuleiten, muss alles dafür getan werden, dass auch die eingewanderten Arbeiter gleiche politische, soziale und kulturelle Rechte erhalten. Sie müssen in die Kämpfe mit einbezogen werden und dürfen nicht als Lohndrücker und Spalter betrachtet werden. Daher darf man den Klassenkampf nicht losgelöst von der vollständigen Gleichstellung zwischen Migranten, Geflüchteten und Einheimischen betrachten.

Yusuf As ist Mitglied der Bundesgeschäftsführung der Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF)

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

Leserbriefe zu diesem Artikel:

  • Mohamad Ali M.: Welche Freiheit? Als 17jähriger Asylbewerber aus Afghanistan kam ich nach Deutschland – mit großen Hoffnungen. Was ich in meinem Leben bisher schon alles erlebt habe, »geht auf keine Kuhhaut«, wie man, glaube ich, in ...

Mehr aus: Kapital & Arbeit