Tassow, Motzki, Galilei
Ein »Halbmensch« sei, wer »weniger will als alles«, also zum Beispiel nicht gleich »alle Weiber vögeln und mit den Männern allen saufen«. So prahlte Jürgen Holtz 1965 an der Berliner Volksbühne bei der Uraufführung von Peter Hacks’ »Moritz Tassow« in der Titelrolle (Regie: Benno Besson). Als »Bauernführer« kommt er groß heraus, doch die Partei kann soviel Baalsche Lebenslust nicht dulden. Nach neun Vorstellungen wurde die Inszenierung abgesetzt. Holtz war im Jahr zuvor schon mit einem Hamlet in Greifswald angeeckt (Regie: Adolf Dresen). Er spielte weiter große Rollen, etwa unter Einar Schleef (»Fräulein Julie«, 1975), blieb aber 1983 bei einem Gastspielauftritt im Westen, wo er für einen Auftritt in Rainald Goetz’ »Katarakt« (1993) hochdekoriert wurde. In jenem Jahr kam er auch als DDR-hassender Kleinbürger »Motzki« in die ARD, ein legitimer Nachfolger von »Ekel Alfred« (beide von Wolfgang Menge entworfen). Zuletzt stand Holtz als lebende Legende bei Inszenierungen Frank Castorfs am Berliner Ensemble seinen Mann, hielt in Hugos »Les Misérables« und Brechts »Galilei« halbnackt endlose Monologe. Am Sonntag ist der Schauspieler im Alter von 87 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben. (jW)
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