Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 17.09.2021, Seite 3 / Schwerpunkt
Pogrom

Dokumentiert: »Kinder von Hoy – Freiheit, Glück und Terror«

Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp-Verlages und der Autorin dokumentieren wir aus »Kinder von Hoy«, dem neuen Buch von Grit Lemke, Textpassagen aus dem Kapitel »Wolfgang und so weiter. Jagd« zu den Ereignissen in Hoyerswerda im September 1991. Der dort zitierte David wurde 1959 in Chidenguele/Gaza (Mosambik) geboren und war ab 1979 auf Grundlage eines Vertrags zwischen Mosambik und der DDR in der Niederlausitz als Schweißer tätig. Aufgrund des Pogroms musste er die Stadt 1991 verlassen und lebt heute wieder in Mosambik. (jW)

Während die Vietnamesen Richtung Polenmauer um ihr Leben laufen, beschäftigen wir uns im Laden mit der Figur des Hasen bei Beuys. Das »Wesen der Bewegung, das Welten verbindet«. Als die Gejagten das Wohnheim erreicht haben, fliegen die ersten Steine.

Wenig später ist die Straße vor der Polenmauer mit Menschen gefüllt. Sie stehen in kleinen Gruppen, Kinder rennen, dazwischen Frauen mit'n Rod, an dem Einkoofsbeutel hängen. Die größeren Kinder sind auf alles geklettert, was bessere Aussicht verspricht: Mülltonnen, Flaschencontainer, die Betonmauer um die Blumenrabatte, eine Bank, ein Klettergerüst, ein Baum.

In der Mitte der Szene, direkt vor einem Hauseingang, brüllen die Glatzen in Richtung Fensterfront. In einem Kreis um sie herum Jugendliche in Jeans und Turnschuhen, auch grölend. Ein paar von ihnen sitzen mit Bierbüchsen in den Händen auf dem Bordstein, vor den geparkten Mopeds. (…)

*

David: Am 1. Mai hatten die gesagt: »Wir kommen wieder« – und da sind die natürlich wiedergekommen, im September. Die haben gesungen »Ausländer raus«. Die haben mit Steinen geworfen und haben in unserem Wohnheim alles kaputtgemacht. Die wollten reinkommen, und wir wissen nicht: Warum? Die Frage vergesse ich nicht, seit 91 bis heute. Was hätten sie mit uns gemacht ? Wollten sie uns vernichten? Aber wir haben unsere Tür festgehalten. Und dann ist die Polizei gekommen. Hat auch nicht so viel gemacht, nur gesagt: »Zur Seite!«, und fertig. Wir konnten nichts machen. Das war für uns zum zweiten Mal wie im Krieg.

*

An den folgenden Abenden wird die Menschenansammlung von Mal zu Mal größer sein. Schon bald wird ein Tank aus einem Auto gerissen, werden Geschosse gebastelt und ins Wohnheim geworfen. Negerhaus. Ein Foto zeigt in einem abgeblätterten Fensterrahmen das mehrfach geborstene Glas der Scheibe, mit scharfen Kanten. Am unteren Rand – konzentriert und jederzeit bereit, den Kopf vor dem nächsten Stein wegzuducken – das Gesicht eines Mosambikaners. Ganz ruhig blickt er nach unten auf seine Angreifer. Kaum älter als die, die unten vor ihren Mopeds sitzen und grölen. Kaum älter als der kleene Alicke. Hinter ihm, nur wenig beiseite geschoben, eine Gardine. Mit Rhombenmuster. (Kursivierungen im Buch, jW)

Grit Lemke: »Kinder von Hoy – Freiheit, Glück und Terror«, 256 Seiten, 16 Euro, Suhrkamp Taschenbuch

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