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Aus: Ausgabe vom 02.10.2021, Seite 16 / Aktion
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Emotionale Marketingwelt

Im Kapitalismus wird alles zur Ware, auch Wahlen
Von Dietmar Koschmieder
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Hat es geschafft, dass seine Partei wieder mal Zünglein an der Waage spielen darf: FDP-Chef Christian Lindner auf Wahlplakat

Die Bundestagswahl hat gezeigt, dass noch alles bleibt wie es ist, aber nicht so bleiben wird. Nicht geändert haben sich die klassischen Wahlwidersprüche: Viele haben wieder ausgerechnet den Parteien ihre Stimme gegeben, die ihnen besonders stark an Geldbeutel und verbliebene Rechte wollen. Und wie immer haben jene Parteien am besten abgeschnitten, die für Hochrüstung und Kriege eintreten, obwohl die sie Wählenden mit großer Mehrheit dagegen sind. In Berlin haben über 56 Prozent der Abstimmenden für die Enteignung der großen Wohnungskonzerne gestimmt – und gleichzeitig schickten sie fast nur solche Parteien in den Bundestag, die sich explizit gegen die gewünschte Enteignungspolitik positionierten.

Für diese Widersprüche finden Marketingexperten eine einfache, aber logische Erklärung. So stellt das Werbefachblatt Horizont am Montag nach der Wahl fest: »In dem Kampf der politischen Parteien ging es weniger um eine Debatte inhaltlicher Positionen, sondern um die Positionierung emotionaler Marketingwelten.« So haben sich FDP und Grüne erfolgreich als moderne Kraft, die verändern will, verkauft. Viele Jungwähler glauben offensichtlich an diese Botschaft. Bei Horizont heißt es dazu: »So gut Marketing als Verpackung funktioniert, muss der Empfänger darin auch immer einen Inhalt vermuten.« Mehr ist offensichtlich nicht nötig, um Stimmen abzusahnen. Und was man so alles vermuten darf, wird durch den Markenauftritt festgelegt. Im Kapitalismus wird eben alles zur Ware und will auch wie eine Ware vermarktet werden. »Ohne USP funktioniert die Marke nicht«, lautet eine weitere Lektion der Horizont-Experten. Mit USP ist der »Unique Selling Point« gemeint, also ein Alleinstellungsmerkmal oder Verkaufsargument, wie es Wikipedia erklärt. Das nötige Verkaufsargument, um der Marke »Die Linke« die Stimme zu geben, wäre eine konsequent soziale und Antikriegshaltung gewesen. Oder mit den Worten von Horizont: »Besonders hart traf es letztlich Die Linke, die es nicht schaffte, sich klar als die Protestpartei der sozial Schwachen zu positionieren«.

Gleichzeitig zeigen diese Wahlen aber auch, dass das bundesdeutsche parlamentarische System nicht mehr richtig funktioniert. Die etablierten Parteien verlieren zunehmend ihre zentrale Funktion als Bindekraft an herrschende kapitalistische Verhältnisse. Nicht nur SPD und CDU/CSU kommen nicht mehr an ihre früheren Wahlergebnisse heran, auch Grüne, FDP und AfD müssen erkennen, dass trotz erheblichen Aufwands ihre Bäume nicht in den Himmel wachsen. Dafür konnten am vergangenen Wahlsonntag die »sonstigen Parteien« viele Proteststimmen auf sich ziehen. Und weil trotz der zugespitzten Situation tatsächlich weniger Menschen zur Wahl gegangen sind als vier Jahre zuvor, hat sich also mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten für eine Nicht- oder Protestwahl entschieden. Es zeichnet sich ab, dass sich der Verfall der bisherigen parlamentarischen Wirkmechanismen beschleunigt.

Für solche Veränderungen wird gerne das sogenannte Microtargeting verantwortlich gemacht: Über die Auswertung von Nutzerdaten werden an genau bestimmte Zielgruppen Werbebotschaften geschickt, die die Empfänger bei der Wahlentscheidung beeinflussen sollen. Damit aber, so Horizont, würden nur vorhandene Einstellungen verstärkt. »Agenda-Setting braucht immer noch die große Bühne«, schlussfolgert das Fachblatt. Über das Agenda-Setting beeinflussen Medien, was das Publikum für wichtig hält. Durch Auswahl und Präsentation von Themen. Wenn also die großen Medien Themen wie Krieg, Frieden, Hochrüstung ausklammern, spielen diese eben auch bei der Wahlentscheidung des Publikums keine Rolle.

Eine deutlich höhere verkaufte Auflage der Tageszeitung junge Welt könnte einiges dazu beitragen, dies zu ändern.

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