Polizeischikane gegen Presse
Von David Maiwald und Raphaël SchmellerSonnenschein in Berlin. Fahrtbeginn ins etwa 670 Kilometer entfernte Garmisch-Partenkirchen am Freitag morgen. Ab der bayrischen Grenze wird der Wald dichter und das Polizeiaufgebot auf der Autobahn etwas größer. Ein paar Mal überholen mehrere Einsatzfahrzeuge in Kolonne. Hier und da sind an Auffahrten oder Parkplätzen Einsatzwagen aufgestellt.
Einige Kilometer südlich vom Münchner Stadtrand ziehen sich die Wolken zusammen und es beginnt zu regnen. Waren vor München schon viele Polizeifahrzeuge sichtbar, sind nun an jeder Parkbucht, jedem kleineren und größeren Parkplatz und auf jedem Rasthof teilweise mehrere Einsatzwagen postiert. Etwa 15 Kilometer vom Münchner Stadtrand entfernt steht ein Peterwagen an einer Autobahnauffahrt. Er wird den Reisenden aus Berlin ein paar Minuten folgen und daraufhin langsam überholen. In leuchtenden roten Buchstaben wird gefordert, Folge zu leisten. An der Raststätte Höhenrain West endet die gemeinsame Fahrt. Die Polizei hat dort seit zwei Tagen eine Kontrollstelle errichtet, wie einer der Beamten erzählt, während das Auto bereits durchwühlt und die Hosentaschen der Insassen auf links gedreht sind.
Eine Beamtin fragt nach Ziel und Absicht der Fahrt. Auf die Antwort, dass über den G7 Gipfel berichten werden soll, folgt die Aufforderung, Presse- und Personalausweise, Fahrzeugpapiere und Führerscheine vorzuzeigen. Die Beamtin nimmt die Dokumente entgegen und übergibt sie einem Kollegen, der damit in einem nahestehenden weißen Bürocontainer verschwindet. Kofferraum, Innenraum und Gepäck werden von den Beamten durchsucht. »Haben Sie gefährliche Gegenstände dabei?«, fragt die Beamtin. Die Antwort, »Nein, wozu?«, wird schwach belächelt.
»Wir wissen ja nicht, ob sie vorhaben uns etwas anzutun, darum müssen wir sicher gehen, dass sie keine gefährlichen Gegenstände dabei haben«, erklärt ein Beamter. Die Wühlenden sind gründlich. Notizbücher werden durchgeblättert, Planungspapiere und Notizzettel kurzerhand mit in den Container genommen. Auf Protest antwortet der offensichtliche Rädelsführer der Kontrollaktion (den drei hellen Sternen auf den Schulterstücken nach zu urteilen Hauptkommissar): »Solange wir Sie noch überprüfen, steht nicht zur Debatte, ob wir das dürfen.« Dem Container darf sich nicht genähert werden. Auf wiederholtes Diskutieren wird ein Zettel mit Telefonnummern früher als der Rest zurückgegeben. Was sie mit den Zetteln wollen? »Da standen ein paar Demotermine drauf, wir mussten nur kurz gucken, ob da welche dabei sind, von denen wir noch nichts wissen«, sagt die Beamtin.
Nach etwa 20 Minuten gibt es Dokumente und Unterlagen wieder, die Fahrt kann weitergehen. Nach etwa zehn Kilometern ein erneuter Halt, erzwungen durch die Polizei. Fenster auf: »Wo fahren Sie hin?« – »Garmisch.« – »Alles klar, gute Fahrt.«.
Auf der Höhe von Oberau, etwa 40 Kilometer nach der zweiten Kontrolle, erfolgt das dritte Aufeinandertreffen mit der Polizei. Erneut werden hier Fahrzeugscheine, Personal- und Presseausweise, Führerscheine kontrolliert die Taschen noch einmal durchgerührt. Fotos zu machen wird kritisch beäugt, zunächst aber hingenommen. Auf Nachfrage, warum das Auto erneut quasi auseinandergenommen werden muss (Rückbank raus, Kofferraum auseinander, Motorraum untersuchen etc.), obwohl die Kollegen das kurz vorher schon getan hätten, antwortet einer der Beamten, es würden so viele Kontrollen durchgeführt, da könne man diese Informationen untereinander nicht kommunizieren. Sie seien deshalb gezwungen, das Ganze Prozedere nun zu wiederholen.
Besonders aufmerksam wird bei der Kontrolle eine im Auto liegende Freitagausgabe der jW begutachtet und nach einer Weile kommentarlos wieder weggelegt. Nachdem ein Beamter danach mit den Ausweisen in einem Container verschwindet, tritt ein Polizeihauptmeister dazu: »Sie wissen, dass Sie unsere Persönlichkeitsrechte verletzen, wenn Sie uns Fotografieren?«. Entweder die Fotos würden gleich vor ihm gelöscht oder es würden Personalien aufgenommen. Außerdem drohten »harte Konsequenzen« bei einer Veröffentlichung. Nach kurzer Verhandlung werden die Aufnahmen gemeinsam angeschaut. Vier von 16 Bildern, auf denen Beamte identifiziert werden könnten, müssen gelöscht werden. Für die restlichen Bilder gibt der Hauptmeister sein OK.
Insgesamt dauert diese Kontrolle gute 30 Minuten. Kurz vor Abfahrt warnt einer der Beamten: »In den kommenden Tagen wird es genau so weitergehen«.
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