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Aus: Ausgabe vom 26.11.2022, Seite 10 / Feuilleton
Philosophie

Einmal im Leben

Die Hegel-Hardcore-Fans wussten es dank FAZ schon etwas länger: In der Diözesanbibliothek des Erzbistums München und Freising hat ein Wissenschaftler umfangreiche Mitschriften der Vorlesungen von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) entdeckt. Die fünf Archivkartons mit eng beschriebenen Kladden und Papieren bezeichnete das Erzbistum am Donnerstag als »Jahrhundertfund«. Auch Entdecker Klaus Vieweg von der Friedrich-Schiller-Universität Jena betonte: »Eine solche höchst überraschende und glückliche Entdeckung gelingt wohl nur einmal im Leben und ist vergleichbar mit dem Fund einer neuen Mozart-Partitur.«

Die Archivalien sind ein feuchter Traum für Freunde der Kontinentalphilosophie: »Verschiedene Teile von Hegels Philosophie sind zumeist nur durch Vorlesungsmitschriften dokumentiert, die somit herausgehobene Bedeutung für Hegels Einsichten besitzen und Einblicke in sein Philosophieren als ›Work in progress‹ erlauben«, erläuterte das Erzbischöfliche Ordinariat.

Die jetzt entdeckten, rund 4.000 Seiten umfassenden Aufzeichnungen stammen von Friedrich Wilhelm Carové, einem der ersten Hegel-Schüler an der Universität Heidelberg. Sie spiegeln nahezu alle Teile von Hegels enzyklopädischer Architektonik wider, darunter eine schon lange gesuchte Mitschrift einer Ästhetikvorlesung, über die es bisher noch keine anderen Unterlagen gibt. Das Konvolut war durch einen Nachlass in den Besitz der Diözesanbibliothek gekommen und dort trotz des Hinweises eines Forschers jahrzehntelang unbeachtet geblieben.

Hegel-Biograph Vieweg hat das Material im Sommer durchgesehen, nachdem die Mitschriften zuvor durch einen Papierrestaurator gereinigt und so wieder benutzbar gemacht worden waren – sie waren durch frühere ungünstige Lagerbedingungen in Mitleidenschaft gezogen worden. Er wird den Fund nun gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern auswerten. Was naturgemäß dauern kann. Bis die ersten edierten Bände vorliegen, dürften Jahre vergehen. Doch auch dazu hatte Hegel bereits Passendes gesagt: »Die Ungeduld verlangt das Unmögliche, nämlich die Erreichung des Ziels ohne die Mittel.« (dpa/jW)

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