Krieg als Großversuch
Von Reinhard LauterbachImmerhin eine Erkenntnis dämmert dem US-Militär nach fast einem Jahr Ukraine-Krieg: Schwere Geschütze ohne Selbstfahrlafette seien womöglich ungeeignet für den Krieg der Zukunft. Wie vor einigen Tagen ein Beitrag des US-Senders CNN über den Ukraine-Krieg als Testgelände für moderne Waffensysteme berichtete, haben die US-Experten diesen vorläufigen Schluss aus den relativ hohen Verlusten der in Großbritannien entwickelten »M-777«-Haubitzen gezogen, die der Ukraine in knapp 200 Exemplaren für den Krieg gegen Russland zur Verfügung gestellt wurden. Erstens seien sie – und dieses Problem wird ähnlich auch von den Panzerhaubitzen der Bundeswehr in ukrainischen Diensten berichtet – nicht für eine hohe Schussfolge wie im realen Krieg konstruiert worden, weshalb sich die Läufe verzögen und bestenfalls teure Reparaturen erforderlich würden. Und zweitens brauche der Stellungswechsel unter Bedingungen, unter denen jeder Abschuss einer Granate vom Gegner sofort mit Gegenfeuer beantwortet wird, bei Systemen wie der »M-777« zu lange. »Es ist heute zu schwierig, sich zu verstecken«, zitierte CNN einen US-Offizier.
Aus der Möglichkeit, in ihrem Krieg westliche Waffensysteme im »heißen Einsatz« zu testen, hatte die Ukraine schon früh ein Argument für ihre Forderung nach immer umfangreicheren Waffenlieferungen gemacht. Verteidigungsminister Olexij Resnikow war im vergangenen Sommer ausdrücklich mit dieser Botschaft zu einem NATO-Treffen gereist.
Man kann das moralisch verwerflich finden, aber es liegt in der Natur des Krieges. Jedes Militär hat die Aufgabe, die »eigenen« Kriege zu gewinnen, und wenn es für die Überprüfung seiner eigenen Ausrüstung diesen »eigenen« Krieg gerade nicht braucht, sondern seine Erfahrungen in einem Stellvertreterfeldzug machen und auswerten kann, dann ist das aus Sicht von Rüstungsplanern gut und nicht schlecht. Man lernt dabei auch, was der Gegner an »fortschrittlichen Lösungen« in den Krieg eingebracht hat. Zum Beispiel hat das US-Militär der eigenen Rüstungsindustrie einen Nasenstüber verpasst. Anstatt weiter ihren traditionell hochpreisigen Hightechentwicklungen nachzuhängen, möge sich die Industrie doch bitte darauf konzentrieren, eine »10.000-Dollar-Einmaldrohne« zu entwickeln, wie sie Russland mit den im Iran entwickelten Angriffsdrohnen erfolgreich einsetze, schrieb das Pentagon der Industrie ins Stammbuch.
Auch dem ukrainischen Bündnispartner wird dabei gern über die Schulter geschaut: Der zitierte CNN-Beitrag nannte eine ganze Reihe von »smarten und kostengünstigen« Lösungen, die die ukrainische IT-Branche zur Rüstung ihres Landes beigetragen habe: zum Beispiel eine App zur Zielansprache. Diese speise die frei verfügbaren Satellitendaten in jeden handelsüblichen Tabletcomputer und jedes Smartphone und mache sie damit zur dezentralen Feuerleitstelle – und das überdies störsicher, weil die App dezentral auf den Endgeräten laufe.
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Leserbrief von Horst Scheibner aus Winterberg (19. Januar 2023 um 13:08 Uhr)Das Herumgehampel mit der Lieferung des »Leopard« ist verständlich, die Deutschen brüsten sich damit, den besten Panzer der Welt im Bestand zu haben, und haben Angst, dass er bei einem heißen Einsatz in der Ukraine entzaubert wird. Für die deutsche Rüstungsindustrie wäre das der GAU, deshalb auch die Bedingung für die Abgabe des »Leopard«, nur dann zu liefern, wenn auch die Amerikaner ihren modernsten Panzer den Ukrainern zur Verfügung stellen. Bis jetzt haben nach dem Zweiten Weltkrieg die Amerikaner die meisten Kriege geführt, dabei wurden regelmäßig im Abstand von etwa 12 Jahren die modernsten Waffensysteme eingesetzt, allerdings gegen Gegner, die praktisch keine echte Gegenwehr leisten konnten, man kann sagen, Gewehr gegen Flitzebogen. Jetzt haben wir den Fall, dass auf beiden Seiten mutige Soldaten mit den jeweils besten Waffen aufeinander losgelassen werden. Es ist bitter, dass die ukrainische Führung ihr Land für diese blutige Erprobung fremder Waffensysteme zur Verfügung stellt.
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