Estland: Kallas in Bedrängnis
Tallinn. Eine der Protagonistinnen antirussischer Kampagnen in der EU, die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas, gerät nun selber ins Visier der Scharfmacher – wegen Russland-Geschäften ihres Ehemannes. In den Tageszeitungen Postimees und Eesti Päevaleht wurde der Ministerpräsidentin des baltischen EU- und NATO-Landes am Freitag der Rücktritt nahegelegt. Beide Blätter warfen Kallas vor, nicht ausreichend über die Geschäftsaktivitäten ihres Gatten informiert zu sein und die Gelegenheit verpasst zu haben, »gute Erklärungen« dazu abzugeben. In Estland waren zuvor Verbindungen ihres Mannes zu einer Logistikfirma publik geworden, die einen estnischen Kunden in Russland beliefert hat. Kallas wies die Kritik zurück.
Die estnische Regierungschefin war in den vergangenen Tagen wegen Berichten unter Druck geraten, wonach eine Spedition, an der ihr Mann beteiligt ist, nicht sanktionierte Güter nach Russland transportiere. Auch Staatspräsident Alar Karis forderte Kallas zur Aufklärung auf, während Oppositionsvertreter Rücktrittsforderungen erhoben und ein Misstrauensvotum anstreben wollen. Das Parlament lud sie für kommende Woche zur Sitzung eines Sonderausschusses.
Bei der Regierungskonferenz am Donnerstag sagte Kallas, dass sie zu den Geschäftsaktivitäten ihres Mannes, von denen sie auch erst am Montag erfahren habe, nichts zu verheimlichen habe. Klare Antworten lieferte sie aus Sicht der Medien aber nicht. Kallas »windet sich ein gefangener Fisch im Netz und verstrickt sich leider mit jeder Wendung mehr und mehr«, schrieb das Boulevardblatt Õhtuleht. Auch Parteifreunde äußerten sich kritisch zur Reaktion von Kallas auf den »Skandal«.
Nach Angaben von Kallas hätten weder ihr Gatte noch das Unternehmen irgendwelche Kunden in Russland, sondern einem estnischen Kunden dabei geholfen, seine Aktivitäten im Nachbarland zu beenden - im Einklang mit dem Gesetz und den gegen Russland verhängten Sanktionen. Kallas gilt als eine der lautstärksten Unterstützerinnen der Ukraine im Krieg gegen Russland. Seit Kriegsbeginn profiliert sie sich als entschiedene Befürworterin von EU-Sanktionen gegen Moskau und Waffenlieferungen an die Ukraine. Estnische Firmen rief sie auf, einen »moralischen Kompass« für ihre Russland-Geschäfte zu finden. (dpa/jW)
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