Dresdener Rechte sehen sich verfolgt
In Zeiten, in denen jeder politische Gegner zum Nazi erklärt wird, verwundert auch die Gepflogenheit nicht, sich selbst bei jeder Art Einspruch in den Stand des Naziopfers zu phantasieren. Selbst Strömungen mit rechtem Gedankengut sehen sich verfolgt. So hat die Fraktion der Freien Wähler in Dresden für den 9. November, den Tag der Reichspogromnacht, eine Lesung aus Victor Klemperers Buch »LTI – Notizbuch eines Philologen« angekündigt. Der Überlebende des Holocaust analysiert darin die Sprache des Nazireichs. Bei der Lesung sollen lokale Politiker, u. a. Arnold Vaatz sowie die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Antje Hermenau, Passagen aus Klemperers Werk vortragen. Bekanntester Leser des Abends ist der Kabarettist Uwe Steimle. Gegen die geplante Lesung hatte es zunächst Widerstand gegeben. Der Reclam-Verlag, der die Rechte an »LTI« hält, untersagte zunächst die Verwendung des Werks bei der Veranstaltung. Am Freitag weichte der Verlag seine Haltung in Form der Mitteilung auf, man prüfe die Anfrage der Freien Wähler noch, und es sei dabei wichtig, »dass das Werk Victor Klemperers angemessen gewürdigt und im historischen Kontext diskutiert wird«. Am Montag nachmittag gab Reclam nun laut MDR Kultur bekannt, man habe sich mit dem Gustav-Kiepenheuer-Bühnenvertrieb auf die Freigabe der Lesung geeinigt. In der Begründung hieß es: »Der Reclam-Verlag und der Gustav-Kiepenheuer-Bühnenvertrieb stehen für Diskurs, Diskussion und Reflexion. Wir halten eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Werk Klemperers für wichtig, denn Bücher sind für alle da.« Mit der Entscheidung der Verlage endet der Widerstand gegen die Lesung allerdings nicht. Die Beigeordnete für Kultur, Tourismus und Wissenschaft der Stadt Dresden, Annekatrin Klepsch (Die Linke), hat den angedachten Ort, das Stadtmuseum Dresden, für die Veranstaltung gesperrt. Sie teilte laut MDR Kultur am Montag mit, ihr seien zum Zeitpunkt der Raumzusage weder der Inhalt der Veranstaltung noch die lesenden Gäste bekannt gewesen. Die Freien Wähler reagierten auf die Absage mit Kritik. Susanne Dagen, Stadträtin der Fraktion, hielt Klepschs Äußerungen für strafrechtlich relevant und berichtete MDR Kultur zufolge, dass man die Linke-Politikerin angezeigt habe. (jW)
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