4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 08.04.2024, Seite 8 / Ansichten

Fallt endlich um!

Kampagne gegen gesetzliche Rente
Von Arnold Schölzel
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Kriegstüchtig sein heißt, für die neue Volksgemeinschaft arbeiten bis zum Ableben

Ein Gespenst geht um in der Bundesrepublik: Staatsruin durch die gesetzliche Rente. Zur heiligen Hetzjagd auf sie haben sich die FDP, die AfD, die Verbände des Großkapitals und die Redaktionen von ARD und ZDF bis zu Springers Erzeugnissen verbündet. Den Startschuss feuert zumeist Bild ab. Da gab es schon in den 90ern Verträge mit dem Allianz-Konzern, wann und wie das organisierte Madigmachen laufen soll. Jetzt war es wieder soweit: Irgendein Industrieboss phantasierte in Bild am Sonntag (BamS) von »dem größten Alterungsschub« in Deutschland. Die beiden Weltkriege und die Millionen Toten vor allem jüngeren Alters werden bei solchen Superlativen nicht mitgerechnet. Brav plappert am selben Tag dpa die BamS-Meldung nach: »72 Prozent der Deutschen glauben, die Rente ist nicht sicher.« Dumm nur, dass erst am Mittwoch der Frankfurter Rundschau das Gegenteil zu entnehmen war: 2022 zahlten Beitragszahler erstmals mehr als eine Milliarde Euro an seit 2017 möglichen freiwilligen Zusatzleistungen in die Rentenkasse ein. Zu Beginn waren es gut 200 Millionen Euro. Der Linke-Rentenexperte Matthias W. Birkwald kommentierte das richtig mit: »Die Menschen vertrauen der Deutschen Rentenversicherung.«

So geht’s seit 135 Jahren, als Otto von Bismarck der 1889 beschlossenen Rente mit auf den Weg gab, dass man nicht den »Sparpfennig der Armen« einem Konkursrisiko aussetzen oder gestatten könne, »dass ein Abzug von den Beiträgen als Dividende und zur Verzinsung von Aktien gezahlt würde«. Für die FDP oder Donald Trump steht fest: Bismarck war verkappter Kommunist. Denn die Aussicht auf Ernährung aus der Suppenküche motiviert den Pöbel schneller zur Arbeit als die soziale Hängematte, die ihm Sozialversicherungen bieten. Und als der damalige Sozialminister und »Herz-Jesu-Sozialist« Norbert Blüm (CDU) eigenhändig 1986 plakatierte: »Eins ist sicher, die Rente«, hatte er noch keine Ahnung vom Ende des realen Sozialismus und der flugs entfesselten Diktatur der Finanzindustrie. Die lässt in ihren sogenannten Medien seit den 90ern regelmäßig das Phantom »demographische Katastrophe« herumgeistern.

Die reicht in »Zeitenwende«-Zeiten fürs Aufschrecken aber nicht mehr. Kriegstüchtig sein heißt, für die neue Volksgemeinschaft arbeiten bis zum Ableben. Und wer’s noch nicht begriffen hat, dem gab Christian Lindner in der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag auf deren Frage »Rüstung oder Rente?« Bescheid: Rente ist Geopolitik. Und plauderte fröhlich: »Der liberale Westen hat die Sowjetunion mit seiner überlegenen Technologie und Produktivität in Grund und Boden gerüstet.« Das müsse mit Blick auf Russland und China wiederholt werden.

Daher: Deutsche Rentner, ihr plündert für eure Zweitwohnungen auf Sylt die Staatskasse. Angesichts des Russen vor Berlin – fallt entweder gleich um oder arbeitet endlich so, dass das rasch passiert.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (8. April 2024 um 14:41 Uhr)
    Es gab mal einen Vorsitzenden der Jungen Union, Karsten Mißfelder, der vom »sozialverträglichen Frühableben« sprach (2003). Das war schon Zynismus pur. Die Gesellschaft für deutsche Sprache geißelte diese Aussage zum Unwort des Jahres (bereits 1998), nachdem ein Ärztefunktionär diesen Ausspruch das erste Mal benutzt hatte. In den Jahren darauf folgten diverse »Umschreibungen« bis hin zur immer wieder auftauchenden Diskussion um die Erhöhung des Rentenalters. Dass einem da der Kamm schwillt, wie hier Arnold Schölzel (vielen Dank für diese intellektuell großartige Zustandsbeschreibung) muss nicht verwundern. Was sich dieses Land alles leistet: Zehntausende Obdachlose, über 20 Prozent der Kinder in Armut (weil die Kindergrundsicherung Jahr um Jahr verschoben wird), ein krachen gehendes Gesundheitswesen, marode Infrastruktur, über eine Million Grundsicherungsempfänger aber eben auch 100 Milliarden neue Schulden für die Rüstung, genannt Sondervermögen plus den jährlich steigenden Rüstungsetat, Steuererleichterungen für Reiche und Superreiche und Großkonzerne. Diese Politik wird von überaus reichlich bezahlten Berufspolitikern gemacht, die ihr Heu im Trockenen haben als Marionetten des Industrie- und Finanzkapitals und dafür aus dem Steuersack bezahlt werden. Aber sicher wird Herrn Habeck oder/und Herrn Heil noch einfallen, dass man für die länger Arbeitenden dann Parkplätze für die Rollatoren in den Firmen einrichten müsse oder auf den Baustellen, wo die 75jährigen Maurer, Dachdecker, Installateure usw. im Akkord schuften. Dieses System ist am Ende, es hat es nur noch nicht gemerkt oder will es nicht merken. Jetzt ist es an uns älteren und einfachen Menschen, diesem totsterbenskranken System endgültig den Stoß zu versetzen und uns unser wohl verdientes Leben wiederzuholen.
  • Leserbrief von Peter Groß aus Bodenseekreis (8. April 2024 um 13:32 Uhr)
    Parteien, Medien und Unternehmerverbänden ist es nicht eine Silbe oder Frage wert, wie viele arme Rentner sich beispielsweise in Wohlfahrtsverbänden, nach dem Eintritt ins Rentenalter, totarbeiten. Wie viele Millionen Bundesbürger einen ehrenamtlich Zweit- oder Drittjob ausüben, ohne in der Not jemals eine Zuwendung zu empfangen. Der Lohn eines langen Arbeitslebens ist oft die anonyme Bestattung: Ein Blechbehälter, im Mehrfachgrab, in einem grauen oder orangefarbenen Abwasserrohr. Kein Name – alle Erinnerung vom Winde verweht. Wäre keiner mehr bereit, diese vermeintlich ehrenamtlichen Leistung zu erbringen, in Deutschland gäbe es große Probleme Krieg zu finanzieren, während neben einem armutsfesten Einkommen zusätzliche Sozialversicherungsbeiträge die Sozial- und Rentenkassen füllen. Die hessische AWO-Affäre zeigte, wofür staatliche Wohlfahrtsgelder ausgegeben wurden: Luxusdienstwagen, überhöhte Gehälter, überflüssige Berater- oder Scheinarbeitsverträge. Davon alarmiert brachte der damalige Sozialminister Kai Klose (Grüne) das hessische Transparenzregister an den Start. Klose: »Es muss klar ersichtlich sein, wer welche Mittel erhält und wofür sie eingesetzt werden«. Ein Register, das bis heute jegliche Transparenz vermissen lässt. Bezüge, Kostenersatz oder Zuwendungen werden nicht öffentlich gemacht. »Bei den Gehältern des Führungspersonals handelt es sich um unternehmensinterne Daten. Für eine Veröffentlichungspflicht gibt es keine Rechtsgrundlage«, informiert dazu der Finanzsenat, der in Berlin für das Register zuständig ist. Die »ehrenwerten Gesellschaften« schweigen wie die Mafia. Letztlich finden viel zu viele Politiker hier ein lukratives Zubrot. Allein durch ihre Schirmherrschaft, gelegentliche Anwesenheit oder durch Provisionen für die Akquisition von Zuwendungen. Die Verehrung der Russen für Putin hängt wohl auch damit zusammen, dass er von den Oligarchen am großen runden Tisch Spenden forderte. Bei Weigerung und Widerspruch waren sie dem Himmel sehr nahe.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (7. April 2024 um 23:04 Uhr)
    Im Gegensatz zur FDP und Trump konnte Bismarck rechnen, oder kannte einen, der das konnte. Wobei sich die Rechnerei in den Jahren der Einführung der Bismarkchschen Sozialgesetzgebung eher einfach gestaltete: »Hatte ein Mann um 1900/10 das 40. Lebensjahr erreicht, so konnte er noch mit einer Lebensdauer von etwa 26 Jahren rechnen. Für Frauen lag sie bei 29 Jahren. Nur wenige Menschen aber, nämlich rund fünf Prozent der deutschen Bevölkerung, erlebten das Rentenalter, das die 1889 in Kraft getretene Invaliditäts- und Altersversicherung auf 70 Jahre festlegte.« (https://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/lebensstationen/1900_10.htm). Dieser Zustand hat sich nicht so erhalten und die Herrschenden setzen alles daran, ihn wieder herzustellen. Dem fröhlichen Plauderer Lindner hat man anscheinend bei der Geburt statt eines Klapses auf den Hintern eine Gramophon mit einem Stapel von Endlosansageplatten in selbigen verabreicht. Von diesem Schicksal hat er sich und eine abgrenzbare Menge seinesgleichen nicht erholt. Welches Purgatorium könnte helfen? Ob es den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften dafür gäbe? Grund für diese Fragen: Gorbatschow ist tot.
  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (7. April 2024 um 22:38 Uhr)
    Der Trend geht immer mehr hin zu einer privaten Rente à la USA, also einer riskanten Kasinorente, von der man nicht weiß, ob sie nicht morgen oder übermorgen einer Spekulationspleite zum Opfer fällt. Gesichert ist indes, dass so den Versicherungen goldene Brücken gebaut werden, die mit den eingezahlten Beiträgen ihrer Beitragszahler gut Geld machen. Wer all das nicht finanziell als Lohnabhängiger stemmen kann, der muss eben sehens wo er bleibt, erst recht Arbeitslose und Dauererkrankte. Letztere können froh sein, wenn sie ein sehr karges Almosen vom Sozialamt beziehen können, während Niedriglohnempfänger und Arbeitslose halt bis weit in ihre 70er Jahre noch malochen dürfen, so sie nicht vorher verstorben sind. Ohnehin läuft alles darauf hinaus, die Rente erst mit 70 Jahren zu gewähren, so lange es eine gesetzliche Rente halt noch gibt. Dabei hoffen Staat und Kapital darauf, dass möglichst zahlreiche Habenichtse schon vorher auf dem Friedhof landen oder nur kurze Zeit ihre sehr bescheidene Rente in Anspruch nehmen können, sie also nicht gar zu lange unter den Lebenden weilen. Im Manchesterkapitalsimus, den wir inzwischen teils schon haben, teils vollends ansteuern, ist für alte Menschen nun mal kein Platz, wenn sie denn auf Transferleistungen angewiesen sind, jene die weder Mehrwert generieren, noch kriegstauglich sind, daher als bloße Kostgänger im sogenannten sozialen Rechtsstaat angesehen werden, auch wenn das so nicht direkt gesagt wird. Reiche Senioren und Seniorinnen, die Wertpapiere im Wertestaat angelegt haben, sind indes willkommen, denn deren angelegte Gelder sind nicht nur für deren Eigner, sondern auch für Versicherungen und Banken sowie für die Freizeit,- und Konsumindustrie interessant.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christa K. aus Litschau (7. April 2024 um 20:15 Uhr)
    Punktgenau – besten Dank Herr Schölzel! Die Diktatur der Finanzindustrie braucht frisches Kapital für Kriegsinvestitionen – die lassen da die Profite laufend emporklettern. Wie Sie zum Abschluss richtig feststellen – arbeiten bis zum Umfallen, dann bleibt das Kapital der Rentenversicherung dort, wo die Champagnerkorken knallen ... und wohin sie der Finanzminister umleiten will!

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