Bürgergelderhöhungen zu niedrig
Von Raphaël SchmellerSeit einigen Monaten läuft eine heftige Kampagne gegen die jüngsten Bürgergelderhöhungen. Allen voran CDU-Chef Friedrich Merz und FDP-Finanzminister Christian Lindner beklagen ein – wie Bild es nennt – »Megaplus« für Grundsicherungsempfänger, das nicht gerechtfertigt sei. Eine am Wochenende veröffentlichte Studie belegt nun aber: Auch wenn die Betroffenen jetzt mehr bekommen, gleicht das ihre Verluste der vergangenen Jahre nicht aus.
Zwar wurde das Bürgergeld Anfang 2023 und Anfang 2024 um jeweils etwa zwölf Prozent erhöht. Berechnungen der Ökonomin Irene Becker im Auftrag des Paritätischen Gesamtverbandes, über die der Spiegel am Samstag berichtete, zeigen aber, dass diese Erhöhungen des Bürgergeldes den Kaufkraftverlust der Grundsicherungsempfänger nicht ausgleichen konnten. Demnach erhielt ein erwerbsloser Single in den vergangenen drei Jahren insgesamt 1.012 Euro weniger, als zur Sicherung des Existenzminimums nötig gewesen wäre. Bei einer Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern beträgt das Minus sogar 3.444 Euro. Bis Ende dieses Jahres würden sich diese Defizite aufgrund der aktuell höheren Regelsätze zwar verringern, aber voraussichtlich immer noch bei 867 Euro (Single) beziehungsweise 2.941 Euro (Familie) liegen.
Becker erklärte diese Fehlbeträge beim Bürgergeld so: Die Senkung des Mehrwertsteuersatzes durch die damalige Bundesregierung in der zweiten Jahreshälfte 2020 habe zu einem statistischen Rückgang des Preisniveaus geführt, der für Menschen in der Grundsicherung stark ausgefallen sei. Genau zu Beginn des Jahres 2021 begannen die Preise jedoch zu steigen, und zwar mit wachsender Geschwindigkeit. Im Jahr 2020 wurde der Sozialhilfesatz für das Folgejahr von den amtlichen Statistikern wie alle fünf Jahre komplett neu berechnet. In den dazwischen liegenden Jahren wird dieser Wert dann nach einer Formel angepasst, die zum kleineren Teil die allgemeine Lohnentwicklung und zum größeren Teil die Inflation berücksichtigt. Das Problem ist jedoch, dass die Zeiträume, die dabei berücksichtigt werden, sehr weit zurückliegen, konkret bis zu 18 Monate. Das Ergebnis ist, dass der Sozialhilfesatz für das Jahr 2022 maßgeblich durch das niedrige Preisniveau im zweiten Halbjahr 2020 bestimmt wurde. Nur weil auch die Lohnentwicklung berücksichtigt wurde, kam es zu einer minimalen Erhöhung um drei Euro oder 0,76 Prozent. Die Inflationsrate für Menschen in der Grundsicherung lag Anfang 2022 aber bereits bei gut vier Prozent und am Ende bei knapp 16 Prozent. Die von Konservativen ständig kritisierten Bürgergelderhöhungen in den vergangenen Monaten waren also im Grunde gar keine.
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