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Aus: Ausgabe vom 25.04.2024, Seite 8 / Ausland
Wahlkampf

»Es wird keinen Bruch mit Obradors Politik geben«

Mexiko: Wahlkampf der sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidatin Sheinbaum. Ein Gespräch mit Renata Turrent
Interview: Sara Meyer, Mexiko Stadt
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Präsidentschaftskandidatin Claudia Sheinbaum spricht fröhlich bei einem Bankenkongress (Acapulco, 19.4.2024)

Bis zu den Wahlen in Mexiko sind es noch sechs Wochen. Ihre Präsidentschaftskandidatin Claudia Sheinbaum, die für die Morena-Partei des scheidenden Präsidenten antritt, liegt in allen Umfragen weit vorn. Wie sieht die derzeitige Lage im Land aus?

Die Rechte dominiert in Mexiko den Großteil der Medien, es gab eine Pandemie und gibt den Krieg zwischen Russland und der Ukraine, dennoch hat es der aktuelle Präsident López Obrador geschafft, die Wirtschaft stabil zu halten – und das viel besser als seine neoliberalen Vorgänger. Obrador hat soziale Programme entwickelt, von denen 70 Prozent der Familien profitieren. Das hatte ihm keiner zugetraut, weil die Menschen dachten, er kommt aus einer armen, ländlichen Gegend und versteht nichts von Politik. Er hat – wie versprochen – nicht die Steuern erhöht er hat und Infrastrukturprojekte realisiert. Claudia Sheinbaum hat in ihrer Zeit als Bürgermeisterin in Mexiko-Stadt sehr gute Arbeit geleistet. In ihrer Amtszeit hatten sich die Mordraten verringert und es wurden zwei neue Metrolinien geschaffen.

Haben Sie noch Angst vor dem Wahltag, oder ist Sheinbaums Sieg Ihrer Meinung nach eine sichere Sache?

Wir im Team der Kampagne und auch Sheinbaum selbst sind uns im klaren darüber, dass es zwei Schlachten zu gewinnen gibt: Zum einen hat die Rechte in der Hauptstadt und in einigen Bundesstaaten stark zugelegt, es gilt jetzt, diese Orte zu gewinnen. Zum anderen will Sheinbaums Morena-Partei zwei Drittel der Sitze im Kongress gewinnen, um Verfassungsänderungen durchzusetzen, die unter Obrador nicht bewilligt wurden, da Morena keine Mehrheit in den Kammern hatte. Das ist so wichtig, weil viele Pläne von Sheinbaum Verfassungsänderungen verlangen, die die Opposition niemals zulassen würde.

Am 7. April fand die erste von drei Fernsehdebatten statt, in der die zwei Präsidentschaftskandidatinnen Claudia Sheinbaum und Xóchitl Gálvez und der Bewerber Jorge Álvarez Máynez ihre Regierungsprojekte verteidigten. Wie beurteilen Sie die Leistung Ihrer Kandidaten im TV-Duell?

Es lief gut für sie, obwohl die Themen Gesundheit und Bildung unbequem waren, da sich beide Bereiche in den vergangenen Jahren eher verschlechtert haben. Wir müssen zugeben, dass sich in Mexiko seit langem eine schleichende Privatisierung des Bildungssektors vollzieht. Sheinbaum hat es in der Debatte geschafft zu erklären, wie sie die Regierungsgeschäfte ihres Vorgängers fortführen möchte. Sie legte dar, dass sie seine Gesundheitspolitik und seine Antikorruptionskampagne vorantreiben will. Die Umsetzung ihrer öffentlichen Politk zu erklären und dabei zu vermitteln, dass es keinen Bruch mit Obradors Politik geben wird, war eine Aufgabe, die sie gemeistert hat. Außerdem hat es ihr geholfen, dass sich ihre Opponentin oft geirrt hat und Sheinbaum eine Lügnerin und Frau ohne Herz nannte. Das sind alles Stereotypen, mit denen Frauen zu kämpfen haben, und solche Anschuldigungen zu machen hat bisher noch nicht mal ein männlicher Kandidat gewagt.

Was ist für den Höhepunkt des bevorstehenden Wahlkampfes geplant? Wie sollen die letzten unschlüssigen Wähler überzeugt werden?

Was den Wahlkampf und die Wählerentscheidung in den kommenden Wochen bestimmen wird, ist die Justizreform. Die Justiz ist der korrupteste Teil unseres Systems. Aktuell ist Sheinbaum auch mit einem Skandal konfrontiert: Ein ehemaliger Minister, der sich ihrer Sache angeschlossen und seinen Ministerposten aufgegeben hatte, wird vom Obersten Gerichtshof eines Verbrechens beschuldigt. Das Gericht hat einen Mechanismus kreiert, um auf Grundlage von anonymen Aussagen Untersuchungen gegen jemanden durchzuführen. Das ist komplett verfassungswidrig. Zusätzlich werden Informationen über den Fall in den Medien gestreut, was meiner Meinung nach das Recht des Betroffenen auf Verteidigung verletzt. Das ist wirklich eine sehr besorgniserregende Situation. Grund dafür wird sein, dass einer von Sheinbaums Vorschlägen eine tiefgreifende Reform der Justiz ist.

Renata Turrent ist die Koordinatorin der Initiative »Dialoge für eine Transformation« der sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidatin Claudia Sheinbaum

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