Ringen um Rafah
Von Ina SembdnerDie Nerven der Menschen in der südlichen Grenzstadt Rafah im Gazastreifen sind laut UNRWA-Chef Philippe Lazzarini aus Angst vor einer israelischen Militäroffensive bis aufs äußerste gespannt. »Unsere Kollegen vor Ort berichten von außerordentlicher, tiefsitzender Angst«, sagte Lazzarini. Im Norden des Gazastreifens kämen entgegen israelischen Angaben noch immer nicht genügend Lebensmittel an, sagte er am Dienstag in Genf. Israelische Stellen verweigerten Konvois des UN-Palästinenserhilfswerks mit Hilfsgütern systematisch die Genehmigung, in den Norden zu fahren. Nachdem Israel im April einen neuen Grenzübergang öffnete, gelangen zwar mehr Hilfsgüter in den nördlichen Gazastreifen, das Welternährungsprogramm warnt jedoch, dass sie bei weitem nicht ausreichen, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Der Norden der palästinensischen Enklave steuere weiterhin auf eine Hungersnot zu.
Jeden Moment rechneten die Menschen in Rafah damit, so Lazzarini weiter, vom israelischen Militär aufgefordert zu werden, das Gebiet zu verlassen. Vieles hänge nun von den laufenden Verhandlungen über eine Feuerpause und die Freilassung von Geiseln ab. Nach eigenen Angaben ist die Hamas noch immer dabei, den Anfang der Woche von israelischer Seite vorgelegten »Kompromissvorschlag« zu prüfen. Äußerungen von US-Außenminister Antony Blinken in diesem Zusammenhang kritisierte der ranghohe Hamas-Vertreter Sami Abu Suhri gegenüber Reuters als einen Versuch, Druck auf die Organisation auszuüben und Israel freizusprechen. Blinken hatte die Hamas wiederholt aufgefordert, den Vorschlag anzunehmen.
Darin ist nach Angaben des britischen Außenministers David Cameron eine 40tägige Feuerpause vorgesehen sowie die Freilassung von »möglicherweise Tausenden palästinensischen Häftlingen« im Gegenzug für die Freilassung der verbleibenden Geiseln aus Israel – deren Zahl wird auf 130 geschätzt, unklar ist, wie viele von ihnen mittlerweile tot sind. Ein israelischer Regierungsvertreter sagte der Nachrichtenagentur AFP, seine Regierung werde »bis Mittwoch abend auf Antworten warten«. Dann werde sie »eine Entscheidung treffen«, ob sie eine Delegation zu weiteren von den USA, Ägypten und Katar vermittelten Gesprächen nach Kairo entsende.
Der Ausgang der Verhandlungen wird nach Worten des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu ohnehin keine Auswirkungen auf den geplanten Einmarsch in Rafah haben. Am Dienstag stellte er klar: »Wir werden nach Rafah gehen, und wir werden die Hamas-Bataillone vernichten, mit oder ohne Abkommen, um einen vollständigen Sieg zu erreichen.« 1,8 Millionen Menschen leben dort seit Monaten eingepfercht unter widrigsten humanitären und sanitären Bedingungen. UN-Generalsekretär António Guterres appellierte im Anschluss an Netanjahus Äußerungen an die israelische Regierung, von der Großoffensive abzusehen: »Ein militärischer Angriff auf Rafah wäre eine unerträgliche Eskalation, die Tausende weitere Zivilisten töten und Hunderttausende zur Flucht zwingen würde«, sagte der Portugiese vor Journalisten. Er wies darauf hin, dass alle Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und viele weitere Regierungen sich klar gegen eine Offensive ausgesprochen hätten. »Ich rufe alle, die Einfluss auf Israel haben, dazu auf, alles in ihrer Macht stehende dafür zu tun, dies zu verhindern.«
Dieses Ansinnen verfolgen auch die Abertausenden Studenten an den US-Universitäten, die seit vergangener Woche mit Besetzungen und Campuslagern die Komplizenschaft ihrer Hochschulen und Regierung anprangern und deren Ende einfordern. Den Anfang hatte die New Yorker Columbia University gemacht – die Unileitung lehnte die Forderung, finanzielle Beziehungen mit Israel zu kappen, jedoch ab und forderte das Eingreifen der Polizei. Nachdem Aktivisten in der Nacht zu Dienstag die Hamilton Hall der Universität gestürmt und den Eingang des Gebäudes mit Stühlen und Tischen verbarrikadiert hatten, rückte ein Großaufgebot an. Hunderte Polizeibeamte drangen am Dienstag abend in das Universitätsgebäude ein und nahmen mindestens 50 Menschen fest.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (2. Mai 2024 um 12:07 Uhr)Der israelische Vorschlag für ein Abkommen, wie vom »Wall Street Journal« berichtet, sieht zwei Stufen vor. »In der ersten Stufe würden mindestens 20 Geiseln innerhalb einer dreiwöchigen Feuerpause freigelassen werden, im Austausch gegen eine nicht näher bezeichnete Anzahl palästinensischer Häftlinge. Die Dauer der Feuerpause könnte für jede weitere Geisel um einen Tag verlängert werden. Die zweite Stufe würde eine zehnwöchige Waffenruhe umfassen, während der sich Hamas und Israel auf eine umfangreichere Freilassung von Geiseln und eine längere Kampfpause einigen könnten, die bis zu einem Jahr dauern könnte. Die Hamas beharrte jedoch bisher auf einem vollständigen Ende des Krieges, was von Israel abgelehnt wird. Premierminister Netanjahu hat jedoch klargestellt, dass die angekündigte Offensive auf Rafah in jedem Fall erfolgen wird.« US-Außenminister Blinken bezeichnete dies als großzügigen Vorschlag Israels. Leider ist ersichtlich, dass beide Seiten, die jetzt die Verhandlungen führen, letztlich irgendwie am Ende den Anderen vernichten wollen. Somit ist ein Frieden noch weit entfernt!
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