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Aus: Ausgabe vom 22.05.2024, Seite 4 / Inland
Studentenproteste für Gaza

Akademische Einigkeit

Berlin: Professoren solidarisieren sich mit Studierenden
Von Annuschka Eckhardt
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Die Polizei räumte auf Anweisung der Universitätsleitung das Protestcamp (Berlin, 7.5.2024)

In über 140 Universitäten auf der Welt protestieren Studierende gegen den Genozid in Gaza und errichten Protestcamps, besetzen Campus und Hörsäle. Der Berliner Senat versucht diese Proteste als »antisemitisch« zu verunglimpfen und im Keim zu ersticken. Das Thema haben Lehrende verschiedener Berliner Hochschulen am Dienstag in die Bundespressekonferenz getragen.

Auf dem Podium der »Pressekonferenz zu Protesten an Hochschulen gegen den Krieg in Gaza« saßen Michael Wildt, Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt »Nationalsozialismus« an der Humboldt-Universität (HU) Berlin, Miriam Rürup, Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums und Professorin für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam, Michael Barenboim, Professor für Ensemblespiel und Violine an der Barenboim-Said-Akademie und Clemens Arzt, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Polizei- und Versammlungsrecht an der HWR Berlin.

Nach der Räumung des palästinasolidarischen Protestcamps an der Freien Universität (FU) am 7. Mai hatten sich Dozierende der FU mit den Studierenden solidarisiert. Die Springer-Presse diffamierte die Dozenten als »Judenhasser« und veröffentlichte Fotos mit Klarnamen. Die Universitätsleitung, die die Polizei gerufen und die Räumung rechtswidrig veranlasst hatte, kritisierte, der Protest sei nicht auf »Dialog« ausgerichtet gewesen. Laut Angaben der Polizei waren 79 Menschen vorläufig festgenommen worden.

Mittlerweile haben 1.000 Beschäftigte an Universitäten einen offenen Brief unterzeichnet: »Wir fordern die Berliner Universitätsleitungen auf, von Polizeieinsätzen gegen ihre eigenen Studierenden ebenso wie von weiterer strafrechtlicher Verfolgung abzusehen«, heißt es darin. Der Dialog mit den Studierenden und der Schutz der Hochschulen »als Räume der kritischen Öffentlichkeit« solle oberste Priorität haben. Beides sei aber mit Polizeieinsätzen auf dem Campus »unvereinbar«. »Nur durch Auseinandersetzung und Debatte werden wir als Lehrende und Universitäten unserem Auftrag gerecht«, schreiben sie in dem Brief, der jW vorliegt.

Arzt sagte am Dienstag vor Journalisten, dass Polizei und Universitätsleitung das Versammlungsrecht nicht beachtet hätten. »Grenzen setzt das Strafrecht und nicht die Staatsräson.« Wildt äußerte sich vorsichtiger: Der offene Brief – den auch er unterzeichnet habe – sei »kein Statement zum Nahostkonflikt«. Wer glaube, die Polizei könnte Antisemitismus »vom Tisch wischen, der irrt«.

Barenboim ging zunächst auf den Schrecken der Situation in Gaza ein und stellte fest, dass es dort »keinen sicheren Ort« gebe. Mehr als 35.000 Tote, 10.000 Vermisste, zerstörte Schulen und Krankenhäuser sowie eine ausgehungerte Bevölkerung. »Studierende haben nicht nur das Recht zu protestieren, sie haben recht zu protestieren«, sagte Barenboim nachdrücklich. Dass deutsche Politiker nun die Entscheidung des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshof kritisierten, einen internationalen Haftbefehl gegen Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Gallant zu prüfen, »tue nichts zur Sache«, sei also irrelevant, da die BRD den Gerichtshof ja unterstütze.

CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter hatte den Antrag auf Haftbefehl gegen Netanjahu und Gallant als einen »heftigen politischen Skandal« gegenüber Bild (Dienstagausgabe) verurteilt. »Wer diesen Haftbefehl erlässt und unterstützt, redet eindeutig einer Täter-Opfer-Umkehr das Wort«, behauptete der CDU-Hardliner. Kiesewetter forderte die Bundesregierung auf, Protest einzulegen und Netanjahu »zu politischen Gesprächen nach Deutschland einzuladen«. Anders als Kiesewetter schien Barenboim die Entscheidung des Chefanklägers zu begrüßen. Er betonte mehrfach, auch die Besetzung der Westbank und Ostjerusalems sei »gewaltsam und illegal«.

Letztlich waren sich die Professoren zumindest in der Einordnung der Räumung des FU-Protestcamps einig: Polizei und Universitätsleitung hätten klar falsch gehandelt.

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  • Leserbrief von Peter Groß aus Bodenseekreis (22. Mai 2024 um 22:22 Uhr)
    »Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der ›Gewinnung eines selbständigen Urteils‹ zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle der Lehrenden in einer demokratischen Gesellschaft und der – rundum akzeptierten – Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers«. Zitiert wird der erste Grundsatz des Beutelsbacher Konsens: Überwältigungsverbot. Den, vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, vorverurteilten Frauen ist ein Unrecht geschehen, weil sie nach diesem Konsens handelten. Ein der Meinungsfreiheit und der Demokratie verbundenes Bezirksamt hätte es berücksichtigt. Wer hierzulande als Antisemit gebrandmarkt wird, muss mit den Folgen lebenslang kämpfen. Dabei liegt eine Ursache für den Streit von Linken und dem Medienkonzern aus der Kreuzberger Falschgoldfestung und ihm verbundenen Geschichtenschreibern und Finanziers. Diese Historiker oder Journalisten zu nennen, fällt mir schwer. Wer es fertigbringt, sich bedingungslos der Manipulationsmaschine zu unterwerfen und Studierende verprügeln zu lassen, war vermutlich nie bereit, das Lied »Mein Name ist Mensch« von Rio Reiser anzuhören, wo es heißt: »Ich habe viele Väter, ich habe viele Mütter / Und ich habe viele Schwestern und ich habe viele Brüder / Meine Väter sind schwarz und meine Mütter sind gelb / Meine Brüder sind rot und meine Schwestern sind hell«. Die Menschenfeinde werden auch genannt: »Wir haben einen Feind / Er nimmt uns den Tag / Er lebt von unserer Arbeit und er lebt von unserer Kraft / Er hat zwei Augen und er will nicht sehen / Er hat zwei Ohren und will nicht verstehen.« Ich wünsche den Lehrenden Kraft, die Mörder unserer Mütter und Väter, Schwestern und Brüder zu nennen. Das Lied ist eine Aufforderung zur Einheit und Solidarität und erinnert, dass wir Teil einer großen Menschenfamilie sind, die füreinander einstehen sollte.

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