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Aus: Ausgabe vom 28.05.2024, Seite 4 / Inland
Thüringen

Grünes Herz schwarz-blau

Thüringen: Zugewinne für AfD. Rechte Partei schließt zur CDU auf. Neonazi in Stichwahl. Linkspartei bei direkter Konkurrenz hinter BSW
Von Nico Popp
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Politisches Katastrophengebiet: Neonazi Tommy Frenck auf einem Wahlplakat in Hildburghausen am Sonntag

Die im unmittelbaren Vorfeld der für den 1. September angesetzten Landtagswahl mit Spannung erwarteten Kommunalwahlen in Thüringen haben eine Rechtsverschiebung des politischen Kräftefeldes gebracht. Der mitunter befürchtete »Durchmarsch« der AfD ist am Sonntag zwar ausgeblieben, ein »Dämpfer« oder »Rückschlag« für die Rechtsaußenpartei, der am Montag hier und da konstatiert wurde, ist das Ergebnis aber auch nicht. Kandidaten der AfD stehen – überwiegend gegen jeweils favorisierte Kandidaten der CDU – in neun Stichwahlen um kommunale Spitzenämter. In den meisten Kommunalparlamenten hat die Partei stark hinzugewonnen; in acht von 17 Kreistagen könnte sie stärkste Kraft werden.

Unter dem Strich hat allerdings die CDU ihre dominierende Stellung in der Thüringer Kommunalpolitik verteidigt. Sie hat sogar die Chance, nach 18 Jahren das Rathaus in der Landeshauptstadt zurückzuerobern: Bei der Oberbürgermeisterwahl in Erfurt lag der CDU-Kandidat Andreas Horn mit 28,3 Prozent der Stimmen überraschend deutlich vor dem langjährigen sozialdemokratischen Amtsinhaber Andreas Bausewein, der auf lediglich 22,7 Prozent kam. Zuschauer in der Stichwahl sind AfD-Landessprecher Stefan Möller, der 19,8 Prozent der Stimmen erhielt, und der Bewerber von Die Linke, Matthias Bärwolff (12,8 Prozent). Im Stadtrat – die Auszählung lief am Montag noch – dürfte die Union stärkste Kraft werden, gefolgt von der AfD, die bislang die viertstärkste Fraktion gestellt hatte. Im Landesschnitt lag der Stimmenanteil der Union nur leicht über dem der AfD.

Ein interessanter, in unterschiedlichem Grade verallgemeinerbarer Aspekt des Erfurter Ergebnisses ist einmal mehr, dass die Wahlbeteiligung – im Durchschnitt die höchste seit 1994 – in den Plattenbauvierteln im Norden und Südosten der Stadt, wo seit den 1990er Jahren die PDS bzw. die Linkspartei die meisten ihrer Stimmen geholt hatte, extrem niedrig ausfiel (teilweise deutlich unter 30 Prozent), in den gentrifizierten Teilen der Altstadt und in den eingemeindeten, mit Eigenheim- und Reihenhaussiedlungen erweiterten Dörfern am Stadtrand aber erheblich darüber lag. Der Trend, dass der sozial »abgehängte« Teil der Bevölkerung mehrheitlich nicht mehr an Wahlen teilnimmt, zeigt sich gerade auf kommunaler Ebene in krasser Form.

Für einige entsetzte Gesichter sorgte am Sonntag das Ergebnis der Landratswahl im südthüringischen Kreis Hildburghausen. Hier ging der überregional bekannte Neonazi Tommy Frenck für das »Bündnis Zukunft Hildburghausen« ins Rennen. Die AfD hatte keinen Kandidaten aufgestellt. Weil Frenck mit 24,9 Prozent der Stimmen knapp vor dem CDU-Bewerber Dirk Lindner (24,7 Prozent) landete, steht er nun in der Stichwahl gegen den Kandidaten der Freien Wähler, Sven Gregor, der auf 42,4 Prozent kam. Gregor dürfte sich in der Stichwahl problemlos durchsetzen. Für Irritationen sorgte, dass Frenck überhaupt zur Wahl zugelassen worden war: Laut Thüringer Wahlordnung darf niemand Landrat werden, der »nicht die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung eintritt«.

Die Linkspartei, die mit Bodo Ramelow vorläufig noch den Ministerpräsidenten in Thüringen stellt, fuhr überwiegend ernüchternde Ergebnisse ein. Steffen Hartwig, ihr Oberbürgermeisterkandidat in Suhl – früher mal eine Hochburg der PDS –, wurde regelrecht deklassiert: Der CDU-Bewerber erhielt 82,1 Prozent, Hartwig 17,9 Prozent der Stimmen. Auch im Suhler Stadtrat ist die Partei mit deutlichem Abstand hinter Union und AfD nur noch drittstärkste Kraft. In vielen Fällen brach die Partei regelrecht ein: Bei der Kreistagswahl im Kyffhäuserkreis ging ihr Stimmenanteil von 17 auf 9,9 Prozent zurück, im Kreis Nordhausen von 18,4 auf 11 Prozent, im Kreis Greiz von 12 auf 4,6 Prozent, im Wartburgkreis von 13,6 auf 5,5 Prozent, im Landkreis Gotha von 10,4 auf nur noch vier Prozent. Koparteichef Martin Schirdewan wiegelte am Montag in Berlin ab: »Klar ist, dass dies keine Testwahlen für die Landtagswahlen sind.« Im September werde sich der »Amtsinhaberbonus« des Ministerpräsidenten auswirken. Und Ramelow sei »on fire«.

In den drei zuletzt genannten Kreisen ging am Sonntag auch das Bündnis Sahra Wagenknecht ins Rennen. Das BSW, das in Thüringen vorläufig nur ein paar Dutzend Mitglieder hat, kam im Wartburgkreis auf 10,6, im Landkreis Gotha auf 12,4, in Greiz auf 11,1 Prozent. In der Kleinstadt Bleicherode setzte sich ein BSW-Bürgermeisterkandidat gegen eine CDU-Bewerberin durch.

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