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Aus: Ausgabe vom 28.05.2024, Seite 5 / Inland
Gesundheitswesen

Lauterbach versteht die Pflege nicht

Zahl der Pflegebedürftigen drastisch gestiegen. Gesundheitsminister in Erklärungsnot
Von Gudrun Giese
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Unterfinanziert und fehlberechnet: Leben im Alter wird für viele zum Alptraum (Mellrichstadt, 4.5.2023)

Die Zahl der Pflegebedürftigen ist in den zurückliegenden Jahren drastisch gestiegen. Nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sind die Ursachen dafür allerdings noch unklar. Statt errechneten 50.000 Menschen, die 2023 erstmals Leistungen aus der Pflegeversicherung benötigen sollten, waren es tatsächlich mehr als 360.000. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte Lauterbach am Montag, dass die starke Zunahme in kurzer Zeit zu denken geben müsse. »Woran das liegt, verstehen wir noch nicht genau.«

Es könne Nachholeffekte bei der Einstufung Pflegebedürftiger nach der Coronapandemie geben, laute eine Hypothese für den überproportionalen Anstieg, deren Stimmigkeit allerdings erst noch überprüft werden müsse. Dieser Effekt könne jedoch nicht allein die Entwicklung erklären, meinte der Gesundheitsminister. Er vermutet einen Zuwachs von Pflegebedürftigen aus gleich zwei Generationen: Neben den Ältesten der Gesellschaft hätten nun auch die ersten Menschen aus den geburtenstarken Jahrgängen Bedarf nach und Anspruch auf Pflegeleistungen. Lauterbach nannte das plakativ »Sandwich-Effekt«, da nun sogenannte Babyboomer und Menschen ihrer Elterngeneration gleichzeitig der Pflege bedürften.

Berechnungsfehler in Politik und zuständigen Behörden sind jedoch auch sonst nicht ungewöhnlich. Anders ließe sich kaum die seit Jahrzehnten falsch ausgelegte Zahl an Kindertagesstätten und Schulen sowie entsprechend benötigten Erziehern und Lehrern erklären, obwohl bei Kinderbetreuung und -bildung der Vorlauf ab Geburt des Nachwuchses die Planung erleichtern könnte. Die geburtenstarken Jahrgänge sind auch nicht über Nacht aus einer fernen Galaxie auf die Erde expediert worden, sondern müssen seit ihrem Entstehen ab der zweiten Hälfte der 1950er bis zur Mitte der 1960er Jahre immer wieder als Alibi für anfangs schlechte Versorgung mit Schul-, Ausbildungs- und Studienplätzen herhalten, später für die Erhöhung des Renteneintrittsalters bei gleichzeitiger Senkung der Rentenhöhe und nun also für den erwartbaren Kollaps im Pflegesektor.

Denn wie der rasante Anstieg der Neuzugänge in sowohl ambulanter als auch stationärer Pflege finanziert werden soll, weiß auch der Gesundheitsminister nicht. Mittel- und längerfristig sei »eine solidere Form der Finanzierung der Pflege« nötig, sagte er dem RND. In der aktuellen Legislaturperiode mit der Ampelkoalition sei eine solche umfassende Finanzreform »wahrscheinlich« nicht mehr zu schaffen, so Lauterbach. Allein mit dem derzeitigen System der beitragsfinanzierten Pflegeversicherung werde man das bestehende Leistungsniveau in diesem Bereich nicht halten können. Derzeit entwickelt eine interministerielle Arbeitsgruppe Vorschläge für die künftige Finanzierung der Pflege, die bis Ende Mai präsentiert werden sollen. Obwohl der Minister von der Gruppe keine einheitlichen Empfehlungen erwartet, bezeichnete er ihre Arbeit als gute Grundlage für eine große Pflegereform in der nächsten Legislaturperiode. »Dann muss sie aber auch kommen.«

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