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Aus: Ausgabe vom 28.05.2024, Seite 8 / Inland
Proteste gegen Gazakrieg

»Die Polizei hat diese Abmachung gebrochen«

Berlin: Gewaltsame Räumung besetzter Humboldt-Universität war entgegen Zusagen der Unileitung. Ein Gespräch mit Lena Hense und Leon Groß
Interview: Simon Zamora Martin
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Überwältigende Übermacht: Behelmte Beamte führen eine palästinasolidarische Aktivistin ab (Berlin, 23.5.2024)

Sie haben vergangene Woche an der Besetzung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Berliner Humboldt-Universität, teilgenommen. Was hat Sie dazu motiviert?

Lena Hense: Wir haben die HU besetzt, weil in Gaza gerade ein Genozid stattfindet und sich der deutsche Staat, aber auch die Universitäten mitverantwortlich machen. Wir wollten die Uni als politischen Ort zurückgewinnen, an dem wir diskutieren und unsere Meinung frei äußern können. Das wurde am Donnerstag erneut verhindert.

Wie haben Sie die offenbar vom Regierenden Bürgermeister angeordnete Räumung erlebt?

Leon Groß: Noch während wir mit dem Präsidium diskutierten, stürmte die Polizei die Uni. Wir wurden von Beamten in Kampfmontur eingekesselt und teilweise extrem brutal abgeführt. Eine Genossin wurde dabei von der Polizei sexuell belästigt. Von uns allen wurden die Personalien aufgenommen und teilweise Anzeige erstattet, obwohl uns die Unileitung zuvor das Gegenteil versprochen hatte.

Gegenüber der Presse hat die Präsidentin zugesichert, dass keine Strafanzeige gegen diejenigen gestellt wird, die vor 18.30 Uhr freiwillig gehen.

L. H.: Es bleibt für uns etwas unklar, wer die Polizei auf uns gehetzt hat. Das Präsidium hat behauptet, dass das eine Anweisung vom Senat gewesen sei, was ein krasser Eingriff auf die Unabhängigkeit der Hochschulen wäre. Uns hat die Präsidentin zugesichert, dass alle, die die Uni freiwillig verlassen, freies Geleit bekommen. Aber die Polizei hat diese Abmachung gebrochen. Wir sind geblieben, um die ursprünglich vereinbarten Bedingungen durchzusetzen. Ein paar Professorinnen und Professoren haben die drohende Repression verurteilt. Aber leider haben sie sich dann nicht – wie in den USA – vor uns gestellt, um uns gegen Polizeigewalt zu schützen.

Wie exzessiv war diese?

L. G.: Ich fand es sehr beängstigend, dort, wo ich normalerweise Unterricht habe, von Robocops in eine Ecke eingepfercht zu werden. Manche hatten die Hände an den Schusswaffen. Als sie darauf angesprochen wurden, haben es andere Polizisten ihnen gleichgetan, um uns einzuschüchtern. Es gab rassistische und sexistische Kommentare. Weil mir der Zugang zu Toiletten verwehrt wurde, habe ich mich in diesem Kessel irgendwann gezwungen gesehen, in eine Flasche zu pinkeln, was natürlich sehr unangenehm war. Bei der Räumung wurden Studis, die einfach eingeschüchtert auf dem Boden saßen, mit Schmerzgriffen völlig brutal herausgerissen. Das habe ich im Erdgeschoss gesehen. In der vierten Etage soll die Repression noch viel krasser gewesen sein. Da wurde ja auch ein Pressevertreter von der Polizei geschlagen und in Handschellen gelegt sowie Sanitäterinnen verhaftet.

Zuvor sollte in einer Vollversammlung diskutiert werden.

L. H.: Das war nicht wirklich eine Vollversammlung, sondern anfangs leider nur eine sehr ausgewählte Runde von Leuten, die eine führende Rolle in der Besetzung innehatten, dem Präsidium sowie ein paar Professorinnen und Professoren. Es ging viel darum, wie die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird und dass es keinen Diskurs darüber in der Uni gibt. Es wurde leider verhindert, dass mehr Leute an der »Vollversammlung« teilnehmen. Ich hatte den Eindruck, dass die Diskussion unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden sollte.

L. G.: Aber als dann draußen die Kundgebung von der Polizei geräumt und auf die andere Seite der S-Bahn-Gleise verlegt wurde, kamen mehr Studis dazu und haben gegen das Unipräsidium protestiert. Dann ging es nur noch darum, wie wir die Räumung beenden können. Als sich die Polizei immer aggressiver verhalten hat und mit der Räumung begann, ohne dass die Lehrenden offenbar davon wussten, ist die Stimmung endgültig gekippt und die Diskussionsrunde wurde abgebrochen.

Welche Lehren ziehen Sie aus der Besetzung?

L. G.: Wir müssen viel mehr auf die Masse der Studierenden setzen sowie auf eine Zusammenarbeit mit solidarischen Beschäftigten und Lehrenden. Auch für sie war es sehr seltsam, als die Uni dann einfach von der Polizei eingenommen wurde. Wir waren zu wenige und konnten einfach geräumt werden.

Lena Hense und Leon Groß studieren derzeit an der Berliner Humboldt-Universität

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  • Leserbrief von Peter Groß aus Bodenseekreis (28. Mai 2024 um 19:31 Uhr)
    Es ist ein Geschehen, wie es tausende Jugendliche und Protestierende in Europa erleben. Dass Macron in Münster einen Friedenspreis erhält, der ihn als »leidenschaftlichen Europäer« adelt, zeigt, wie erfolgreich das staatlich geförderte Manipulationsgewerbe Sand in die Augen streut und weit verbreitete Drogen von Amphetamin, Haschisch, Kokain bis Lachgas ihre Wirkung entfalten. Welches Elend verursachte der oberste französische Kolonialherr? Wer betrauert erschossene Jugendliche in den Banlieus, wer beklagt die brutale Gewalt gegen die Gelbwesten-Bewegung, wer leidet mit Pariser Obdachlosen, deren letzter Besitz durch Räumfahrzeuge unbrauchbar gemacht wird. Den Studierenden in der Humboldt-Universität will man den Willen zur freien Meinungsäußerung mit Gewalt nehmen. Die Polizei in den europäischen Ländern ist vereint in ihrem brutalen Handeln gegen Studierende. Auch die Ausrüstungen sind denen russischer Spezialbrigaden gleich. In Stuttgart wurden neben Gas, auch Hunde ohne Maulkorb, nebst Pferden gegen dicht stehende Menschengruppen eingesetzt. Brutalste westliche Menschenfeinde, Rio Reiser würde hier von »Menschenjägern« singen, erfüllen die Wünsche der EU-Politprominenz, die schon in der ersten Jahreshälfte zu verhindern wussten, dass es auch nur eine Talkshow gab, die ausschließlich mit Friedensexperten besetzt war. Man mobilisiert hohe Milliardenbeträge und verhindert, dass Europa zu einer sozialen, friedlichen Gemeinschaft wird. Die Mindestlöhne 2,85 Euro in Bulgarien, 3,99 Rumänien, 4,14 Euro Lettland bis 13,27 Euro Niederlande zeigen die fehlende Wertschätzung für Arbeiter, die hilflos zusehen, wie ihre Fabrikationsanlagen voll EU-subventioniert in die Ukraine auswandern und der Aufbau neuer Unternehmen (hauptsächlich der Rüstungsindustrie) aus ihren Steuern finanziert wird. Für Gaza träumt Israel und das international kapitalistische Großkapital von riesigen Hotelanlagen, direkt am Meer. Dazu gehört dann auch, die vollständige Zerstörung des Gazastreifens.
  • Leserbrief von Wolfgang Ackermann aus z. Zt. Bergen (Norwegen) (28. Mai 2024 um 15:59 Uhr)
    Auch Neil Young schrieb mit »Ohio« für Crosby Stills Nash & Young 1970 den wohl bissigsten, gesellschaftskritischen, anklagenden Protestsong über die Ermordung von vier unbewaffneten Studentinnen und Studenten sowie diverse Verletzte durch die Nationalgarde von Ohio. Die Studierenden protestierten auf dem Gelände der Kent State Universität gegen den amerikanischen Vietnamkrieg der Nixon-Regierung und die Wehrpflicht. Wegen der scharfen Kritik an der Kriegspolitik der Nixon-Regierung wurde die Ausstrahlung des Protestsongs von CSN&Y durch US-amerikanische Radiosender verboten. Neil Young bezeichnete die Morde an den Studentinnen und Studenten, die sich gegen den Krieg engagierten, als »wahrscheinlich die größte Lektion, die jemals an einem amerikanischen Bildungsort gelernt wurde« und berichtete, dass »David Crosby geweint hat, als wir diese Einstellung beendet hatten«. In der Ausblendung ist Crosbys Stimme – mit einem an Wehmut erinnernden Ton – mit den Worten »Four!«, »Why?« zu hören und »Wie viele noch?«.
  • Leserbrief von Anke Rössig aus Zürich (28. Mai 2024 um 14:09 Uhr)
    Beim Lesen des Interviews kommen einem unweigerlich wieder die überwältigenden Bilder des eindrucksvollen legendären amerikanischen Spielfilms »Blutige Erdbeeren« (»The Strawberry Statement«) aus dem Jahr 1970 über die großen Studentenproteste gegen den Vietnam-Krieg der USA auf dem Campus der Columbia-University 1968 in Erinnerung, wo sich bei einer von der Polizei und Nationalgarde gewaltsam beendeten Besetzung eines Universitätsgebäudes die Studenten unter dem Gesang von »Give Peace a Chance« gegen die Räumung zur Wehr setzen. Polizei und die Nationalgarde mit Bajonettgewehren zerschlagen hier am 30. April 1968 die Proteste mit Tränengas. Während die Streikenden ersticken, zerren Polizisten und Gardisten die Demonstranten aus dem Gebäude und verprügeln sie brutal grausam mit Schlagstöcken. wobei etwa 132 Studenten und 4 Fakultätsmitglieder zum Großteil schwer verletzt wurden, während über 700 Demonstranten festgenommen wurden. Der Spielfilm »Blutige Erdbeeren« ist somit wieder hoch aktuell.
  • Leserbrief von Joachim Becker aus Eilenburg (28. Mai 2024 um 11:14 Uhr)
    Bei mir persönlich werden Erinnerungen wach, wenn ich die Proteste der Studierenden heute gegen den Genozid in Gaza mit den Protesten der Studierenden damals gegen den Völkermord in Vietnam vergleiche. Damals waren es wie heute vornehmlich die Studierenden, die mit verschiedenen Aktionen gegen die Kriegsverbrechen protestieren. Leider werden die Studierenden mit ihren Aktionen auch heute wieder einmal allein gelassen. Da frage ich mich, wo bleibt die Unterstützung, die Solidarität der Bevölkerung?

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