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Aus: Ausgabe vom 28.05.2024, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Astronomie

Schlafendes Monster

Astronomen entdecken zweitnächstgelegenes schwarzes Loch zur Erde.
Von Kim Nowak
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Neu im Katalog: Gaia GH3

Man kann sie nicht direkt sehen, und dennoch konnten wir bereits »Fotos« von ihnen anfertigen: schwarze Löcher. Man geht davon aus, dass nahezu jede Galaxie in ihrem Zentrum ein solch astronomisches Monster hat. Dabei können sie sich in ihrer Größe und Masse stark unterscheiden. Während das schwarze Loch Sagittarius A* in unserer Galaxie etwa 4 Millionen Sonnenmassen hat, gibt es auch ultramassereiche Kandidaten wie Abell 1201 mit 33 Milliarden oder TON 618 mit 66 Milliarden Sonnenmassen. Doch es geht auch in die andere Richtung, wie die jüngste Entdeckung von Astronomen zeigt: In einer Entfernung von etwa 2.000 Lichtjahren konnten Wissenschaftler ein schwarzes Loch mit etwa 33 Sonnenmassen entdecken. Auch wenn das im Vergleich zu Giganten wie TON 618 winzig klein erscheint, bleibt es für uns Menschen eine kaum zu fassende Größe. Nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass es sich in relativer Nähe zu uns befindet, ist das Phänomen für die Forscher von großem Interesse.

Entdeckt wurde das schwarze Loch mit dem Weltraumteleskop »Gaia« der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) von einem Team um den italienischen Astronomen Pasquale Panuzzo vom Pariser Observatorium. Es handelt sich dabei um ein stellares schwarzes Loch, das heißt, es entstand durch den Kollaps eines Sterns. Getauft wurde es auf den Namen Gaia BH3. Es ist das zweitnächste schwarze Loch zur Erde. Nur sein Namensvetter Gaia BH1, mit seinen knapp zehn Sonnenmassen noch kleiner, liegt näher, seine Entfernung beträgt 1.560 Lichtjahre. Eine Besonderheit bei Gaia BH3 ist die genaue Berechnung seiner Masse. Dank der Empfindlichkeit von »Gaia« konnten die Forscher die Masse auf exakt 33 Sonnen begrenzen. »›Gaias‹ Messungen liefern den ersten unbestreitbaren Beweis dafür, dass stellare schwarze Löcher dieser Größe tatsächlich existieren«, betont Tsevi Mazeh, Wissenschaftler an der Universität von Tel Aviv, der mit der ESA zusammenarbeitet.

Da Gaia BH3 selbst nicht sichtbar ist, wurde man erst durch ungleiche Bewegungen eines Begleitsterns auf das schwarze Loch aufmerksam. Dieser Stern, fünfmal größer und 15mal heller als unsere Sonne, besteht hauptsächlich aus Helium und Wasserstoff, den beiden leichtesten Elementen im Universum. Diese Untersuchung lässt auch einen Rückschluss darauf zu, welche chemische Zusammensetzung der Stern gehabt haben musste, der zu Gaia BH3 kollabierte. Obgleich es noch weitere Untersuchungen und Daten benötigt, entschieden sich die Autorinnen der Studie dafür, die Daten bereits jetzt zu veröffentlichen. Begründet wurde das mit der »Einzigartigkeit der Entdeckung«, wie Mitautorin Elisabetta Caffau vom Pariser Observatorium betont. Die Vorstellung der vollständigen »Gaia«-Studie ist für Ende 2025 geplant. Dem sekundiert auch Panuzzo, der die Studie leitet: »Diese Art von Entdeckung macht man nur einmal in seinem Forscherleben.«

Einige Wissenschaftler haben Vergleiche zum 1999 veröffentlichen Spielfilm »The Matrix« gezogen. Mit Blick auf die Schlüsselszene, in der der Protagonist Neo die Matrix zum ersten Mal sieht, wie etwa George Seabroke, Wissenschaftler am UCL Mullard Space Science Laboratory in London und Mitglied von »Gaia’s Black Hole Task Force«, gegenüber dem Onlinemagazin space.com äußert. In diesem Film leben die Menschen unserer Welt in einer Matrix, das heißt, unsere »reale« Welt entpuppt sich als eine nicht-reale – beziehungsweise als Simulation. Als man Neo die Möglichkeit offeriert, die Matrix zu erkennen oder weiter in der Illusion zu leben, entscheidet sich der Protagonist für »die Wahrheit«. Im Fall von Gaia BH3, so Seabroke, sei eben das »schlafende, stellare schwarze Loch« die Matrix, die »vor uns versteckt war, bis ›Gaia‹ es entdeckt hat«.

Die Entdeckung hat aber noch mehr Relevanz. So gibt Gaia BH3 eine Antwort auf die Frage, wie man »schlafende« stellare schwarze Löcher erkennen kann. Normalerweise ziehen die gigantischen, um eine Singularität befindlichen Objekte Materie und selbst Licht in sich hinein, die von ihnen buchstäblich »verzehrt« und somit zerstört werden. Mit dem Resultat, dass diese Materie hell leuchtet oder in einigen Fällen auch Röntgenstrahlen von sich gibt. Bei den »schlafenden« schwarzen Löchern, wie eben Gaia BH3, wird jedoch weder Gas noch Staub aufgenommen. Die Frage ist also: Wie kann man solche Objekte entdecken, wenn der Begleitstern zu weit weg gelegen ist, um von der großen Masse des schwarzen Lochs angezogen zu werden?

In solchen Fällen würden, schreibt der britische Wissenschaftsjournalist Robert Lea für space.com, sowohl das schwarze Loch als auch sein Begleitstern einen Punkt umkreisen, der den »Massenschwerpunkt des Systems« darstelle. Diese Umkreisung habe die anfangs erwähnte ungleiche Bewegung (oder: »Taumelbewegung«) des Begleitsterns zur Folge, die für Astronomen erkennbar ist. Genau dafür wurde »Gaia’s Black Hole Task Force« ins Leben gerufen. »›Gaias‹ nächste Veröffentlichung wird voraussichtlich viele weitere Daten enthalten, die uns helfen werden, mehr von der Matrix zu sehen und zu verstehen, wie sich schlafende, stellare schwarze Löcher bilden«, schlussfolgert Seabroke. Ob es uns langfristig auch gelingen wird, »die komplette Matrix« zu erfassen, wird sich zeigen. Die ständige Weiterentwicklung der Technik, die immer atemberaubendere und präzisere Bilder und Daten liefert, geben jedenfalls genug Hoffnung dafür.

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