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Aus: Ausgabe vom 28.05.2024, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Kognitive Psychologie

Eindruck vor dem ersten Eindruck

Neurokognitive Studie: Einfluss moralischer Meinungen zum Künstler auf ästhetische Bewertung
Von Felix Bartels
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Wissen um den Künstler trübt die Wahrnehmung seiner Kunst ein

Lassen Werk und Künstler sich trennen? Vom Leben längst beantwortet, ist diese Frage zum Gegenstand einer Studie an der Humboldt-Universität zu Berlin geworden. Was zunächst nach Ig-Nobelpreis klingt, könnte sich zweiten Blicks als interessant erweisen. Zum einen scheint die Frage, ob moralische Werturteile sich neurologisch beschreiben lassen, nicht ganz ohne, zum anderen hat das Thema politische Relevanz in einer Zeit, da unterm wachsamen Auge digitaler Öffentlichkeit ein Fehltritt ganze Karrieren beenden kann.

Natürlich beeinflusst das Bild, das wir von einem Künstler haben, unsere Reaktion auf seine Kunst, vorausgesetzt, wir wissen, dass dieses Werk von diesem Künstler hergestellt wurde. In ihrer neurokognitiven Studie widmen sich die Psychologin­nen Hannah Kaube und Rasha Abdel Rahman aber dem »Wie«. Unter dem Vorbehalt, dass die Beurteilung des Designs einer wissenschaftlichen Studie Sache von Peer-Reviews bleiben muss, lassen sich der Berliner Untersuchungen nachvollziehbare Antworten entnehmen. Die Forscher gaben den Probanden Abbildungen von Kunstwerken zur ästhetischen Bewertung zu Gesicht sowie Informationen zu den Künstlern. So wurden etwa denselben Personen surrealistische Frauenakte vorgelegt, von Salvador Dalí und vom fiktiven Maler Santino Martí. Durch die Ähnlichkeit der Künstlernamen und die Ähnlichkeit beider Gemälde stellte man sicher, dass sich die vorgelegten Bilder lediglich hinsichtlich der Berühmtheit ihrer Urheber unterscheiden. Probanden, die mit Leben und Werk Dalís vertraut sind, waren vom Versuch ausgeschlossen. Die mitgelieferten Künstlerbiographien enthielten mal neutrale, mal unmoralische Handlungen (sexuelle Nötigung usf.), einige Informationen stimmten, andere nicht. Sodann hatten die Probanden nach jedem Bild drei Fragen zu beantworten: Wie gut gefällt es? Wie aufregend ist es? Wie groß sei der ästhetische Wert? In einer parallelen Testreihe wurden die Reaktionen darüber hinaus von einem Elektroenzephalogramm aufgezeichnet.

Lagen den Versuchspersonen Informationen über unmoralische Handlungen vor, änderte sich die Haltung zum Kunstwerk. Persönliches Gefallen und Meinung zum ästhetischen Rang sanken, das Erregungslevel stieg. Waren die Maler berühmt, schwächte der Effekt sich bei der Frage nach der ästhetischen Qualität etwas ab, was als gesellschaftlich bedingter Einfluss (Reputation) erklärt werden kann. Die gemessenen Hirnströme zeigten dagegen, dass negative Informationen vor allem bei bekannten Künstlern bereits nach 110 bis 160 Millisekunden zu einem größeren Ausschlag der Hirnstromkomponente P1 führten. Die visuelle Verarbeitung unterschied sich also bereits in einer sehr frühen Phase abhängig davon, was die Betrachter über den Künstler zu wissen glaubten.

Sollten sich die Aussagen der Studie als haltbar erweisen, bedeutet das, dass moralische oder politische Bewertungen nicht bloß nachträglich auf den ästhetischen Eindruck eines Kunstwerkes einwirken, sondern schon unmittelbar in der sinnlichen Wahrnehmung der Werke präsent sind.

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