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Aus: Ausgabe vom 03.06.2024, Seite 5 / Inland
Fachkräfteeinwanderungsgesetz

»Chancenkarte« nur für »Qualifizierte«

Letzte Stufe des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes in Kraft getreten
Von Gudrun Giese
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Der Druck bleibt: Wer »ausreichend qualifiziert« ist, hat ein Jahr Zeit, in Deutschland einen Job zu finden

Seit Sonnabend gilt das »Fachkräfteeinwanderungsgesetz« in vollem Umfang. Nach den ersten Stufen, die jeweils zum 1. November 2023 und zum 1. März dieses Jahres in Kraft traten, ist seit 1. Juni auch Teil drei der Regelung gültig.

Nach Angaben von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) müssen bis 2035 rund sieben Millionen Fachkräfte wegen des demographischen Wandels durch jüngere ersetzt werden. Der bundesdeutsche Arbeitsmarkt gebe das nicht her. Bereits heute hat etwa ein Viertel aller Erwerbstätigen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren eine Migrationsgeschichte, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes für 2022 zeigen. Danach sind in der Gebäudereinigung 60, in der Gastronomie 46 und in der Altenpflege etwa 30 Prozent der Beschäftigten Menschen mit Einwanderungshintergrund. Dieser Hintergrund wird bisher sehr weit gefasst: Als Einwanderer gilt jeder, der ab 1950 selbst bzw. dessen beide Eltern seit jenem Jahr in die Bundesrepublik migriert sind.

Das »Fachkräfteeinwanderungsgesetz« soll nun angeblich die bürokratischen Hürden für den Neuzugang zum Arbeitsmarkt für Menschen aus Nicht-EU-Staaten senken. Dafür gilt seit Sonnabend die »Chancenkarte«, die den Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte erleichtern soll, weil kein vorab geschlossener Arbeitsvertrag mehr Voraussetzung ist. Ausgenommen ist davon die so genannte Westbalkanregelung, über die vor allem ungelernte Beschäftigte geworben werden sollen. Die benötigen vor der Zuwanderung einen Arbeitsvertrag. Bewerber von weiter her können Punkte für die Chancenkarte sammeln, wenn sie eine mindestens zweijährige Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss in ihrem Heimatland sowie Sprachkenntnisse in Deutsch oder Englisch nachweisen. Extrapunkte gibt es für Qualifikationen in Engpassberufen – in Medizin, Pflege, IT. Mit ausreichend Pluspunkten auf der Karte sollen Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern hier ein Jahr lang eine Festanstellung suchen dürfen.

Finden sie einen Arbeitsplatz, muss der entweder ein Bruttojahresgehalt von mindestens 40.770 Euro garantieren oder bei Tarifbindung des anstellenden Unternehmens eine Bezahlung nach geltendem Tarifvertrag. In vielen Gesundheits- und Pflegeberufen – außer bei Ärzten – muss die im Herkunftsland erworbene Berufsqualifikation doch anerkannt werden. Die Erleichterung gegenüber früheren Regelungen soll darin bestehen, dass sich Fachkräfte und hiesige Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen zu einer »Anerkennungspartnerschaft« verpflichten können, die nach der Zuwanderung beginnt und beide Seiten die Anerkennung der bestehenden Qualifikation beantragen, wie die Ärztezeitung Anfang März berichtete. In diesem Fall arbeitet die eingewanderte Pflegefachkraft während des Verfahrens, benötigt damit neben der Partnerschaft auch einen Arbeitsvertrag und eine im Herkunftsland erworbene, mindestens zweijährige Berufsausbildung bzw. einen Hochschulabschluss sowie nachgewiesene Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2.

Für Menschen aus den Nicht-EU-Staaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien gibt es einen Sonderpassus im Gesetz: Sie brauchen vor ihrer Einreise eine Jobzusage, die von der Bundesagentur für Arbeit genehmigt wird. Bisher wurden jährlich 25.000 Genehmigungen erteilt. Künftig soll die Zahl auf 50.000 verdoppelt werden, da nicht nur qualifizierte Fachkräfte, sondern auch Beschäftigte in vielen Niedriglohnsektoren Mangelware sind.

Angeblich soll das Fachkräfteeinwanderungsgesetz weniger Bürokratie gegenüber der Vorgängerregelung von 2020 bedeuten. Deren Wirkung sei wegen der Reisebeschränkungen während der Coronapandemie und wegen hoher bürokratischer Hürden verpufft, meinten Kritiker. Dass die Hürden nun niedriger werden, lässt sich dem neuen Gesetz kaum entnehmen. Die Praxis bundesdeutscher Behörden könnte zudem dafür sorgen, dass viele Fachkräfte aus anderen Ländern es sich gut überlegen, hier einen Job zu suchen. Hohe Mieten und Ausländerfeindlichkeit dürften ebenfalls viele abschrecken.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (3. Juni 2024 um 20:01 Uhr)
    Dass besagte »Anerkennungspartnerschaft« darauf beruht, dass die Arbeiterinnen drei bis sechs Monate ohne Entlohnung arbeiten, sollte in diesem Zusammenhang vielleicht noch erwähnt werden.

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