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Aus: Ausgabe vom 03.06.2024, Seite 1 / Titel
Ukraine-Krieg

Ruhe nach NATO-Sturm

Erlaubnis für Kiew, russische Inlandsziele mit westlichen Waffen anzugreifen, heruntergespielt. Kiew kritisiert China
Von Arnold Schölzel
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Westliche Lenkwaffensysteme (Symbolbild) scheitern immer häufiger an russischen Störsignalen

Russland und der politische Westen reagierten am Wochenende mit einer Art Doppelstrategie auf die Kursänderung, insbesondere Washingtons und Berlins, Kiew den Beschuss militärischer russischer Ziele mit den von ihnen gelieferten Waffen zu gestatten. Offiziell gab es auf beiden Seiten keine weiteren Kommentare, einige russische und westliche Medien setzten aber jeweils ihre hysterische Propaganda fort. Schweigen herrscht weiterhin im Westen über die mittlerweile vier Verhandlungsangebote des russischen Präsidenten Wladimir Putin in den vergangenen zwei Wochen.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij betätigte sich erneut als Störenfried und warf am Sonntag China vor, daran zu arbeiten, »dass Staaten nicht an dem Friedensgipfel teilnehmen«. Gemeint ist das für den 15. und 16. Juni bei Luzern in der Schweiz geplante Treffen, zu dem Russland nicht eingeladen worden war. Wie eine Antwort auf Selenskijs Polemik wirkte die kurz darauf von dpa unter Berufung auf »Diplomatenkreise in Riad« verbreitete Meldung, auch Saudi-Arabien werde dort abwesend sein. Grund für die Entscheidung der Regierung in Riad sei, dass Russland nicht an dem Gipfel teilnehme.

Selenskij erklärte nun, mehr als 100 Staaten und Organisationen seien dort vertreten. Es solle vor allem um Gefangenenaustausch, Lebensmittel- und atomare Sicherheit gehen. Nach dem Gipfel solle ein Plan an Russland übergeben werden. Der Druck auf Moskau müsse durch diplomatische Isolation Russlands und durch eine Stärkung der ukrainischen Armee erhöht werden.

Bei einem Treffen mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Singapur wies Selenskij darauf hin, dass Russlands Störversuche vereitelt werden könnten, indem von den Teilnehmerstaaten auch die jeweiligen Staatschefs zum Gipfel kämen. Damit kritisierte er indirekt erneut, dass US-Präsident Joseph Biden nicht in die Schweiz reist. Zuvor hatte Selenskij behauptet, dies spiele Putin in die Hände. Austin reagierte nach dem Gespräch auf X mit Allgemeinplätzen: »Die Unterstützung der Vereinigten Staaten für den Kampf der Ukraine gegen die russische Aggression wird niemals nachlassen.« Die USA hätten sich verpflichtet, die starke Unterstützung einer Koalition von mehr als 50 Ländern aufrechtzuerhalten.

Selenskij wiederum dankte Austin für die jüngsten Zugeständnisse bei der Militärhilfe. Die nun von den USA erlaubten begrenzten Schläge gegen russisches Staatsgebiet dienten der effektiven Gegenwehr gegen Versuche Moskaus, das Kampfgebiet weiter auszudehnen. Kiews Streitkräfte stehen besonders stark in der an Russland grenzenden Region Charkiw unter Druck. Das russische Verteidigungsministerium meldete am Sonntag ein Vordringen in der Region Charkiw sowie die Einnahme eines weiteren Dorfes in der bereits größtenteils besetzten Oblast Donezk.

Die Ruhe nach der NATO-Eskalation scheint auch militärische Gründe zu haben. Das Informationsportal T-online berichtete am Sonntag unter Bezug auf einen Artikel der Washington Post vom 24. Mai, dass die russischen Streitkräfte inzwischen in der Lage seien, durch elektronische Kriegführung westliche Waffen »außer Gefecht« zu setzen. T-online zitierte den österreichischen Militärexperten Markus Reisner mit den Worten: »Russland ist auf diesem Gebiet mittlerweile führend.« Der Westen habe größere Entwicklungen in dem Bereich »weitgehend verschlafen«, Russland habe hingegen weiter »massiv« investiert. Bei den westlichen Kriegen der vergangenen Jahrzehnte gegen technologisch deutlich weniger entwickelte Gegner hätten Störversuche zudem kaum eine Rolle gespielt.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (4. Juni 2024 um 15:50 Uhr)
    Wenn der Westen von »Gegenwehr gegen Versuche Moskaus, das Kampfgebiet weiter auszudehnen«, redet, dann wird da verschwiegen, dass der russische Plan zur Schaffung einer Pufferzone in der Region Charkow nur die Reaktion auf regelmäßigen ukrainischen Beschuss der russischen Region Belgorod ist. Nach dem Feuer-frei-Signal aus dem Westen wurden gar 30 – ausschließlich zivile – Ziele an einem einzigen Tag in Belgorod angegriffen. »Ruhe nach NATO-Sturm« würde ich das nicht nennen. Auch wenn Selenskij auf dem Schweizer Friedensgipfel »atomare Sicherheit« erwirken will, klingt das sehr scheinheilig, wo die Ukraine regelmäßig das AKW Energodar beschossen und Selenskij auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2022 die nukleare Option für die Lösung des Donbass-Problems beschworen hatte. Der Wunsch nach atomarer Sicherheit kann da alles bedeuten, bis hin zum enthauptenden atomaren Erstschlag gegen Russland.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (4. Juni 2024 um 10:53 Uhr)
    Hilflos musste Kiew zusehen, wie Moskau an der Grenze nördlich der zweitgrößten ukrainischen Stadt Charkiw seine Truppen für eine neue Offensive zusammenzog, um die Front zu erweitern. Anfang Mai gelang es dem Kreml relativ leicht, eine neue Front zu eröffnen und in einem Grenzstreifen ukrainisches Gebiet zu erobern. Ungestraft feuerten die russischen Streitkräfte aus ihrem eigenen Luftraum heraus Gleitbomben auf Charkiw ab. Diese neue Front ist eine letzte Warnung an den Westen: Es geht jetzt schlicht darum, dass die Ukraine militärisch überlebt. Aus diesem Gesamtbild entsteht der Eindruck, dass Biden sich vielleicht einen Sieg der Ukraine wünscht, aber nicht bereit ist, das Risiko dafür einzugehen. Sein oberstes Ziel scheint daher zu sein, eine vollständige ukrainische Niederlage zu verhindern und am Ende auf eine Verhandlungslösung hoffen zu können. Diese Taktik könnte jedoch einen noch langwierigen Abnutzungskrieg bedeuten, in dem die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Ukraine schneller ausblutet und Russland den längeren Atem behält. Bevor es möglicherweise zu Verhandlungen kommt, wird der Krieg in eine noch blutigere Phase eintreten. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Trump wieder an die Macht kommt und den Krieg beendet. Trumps Ansatz würde wahrscheinlich darin bestehen, den Krieg mit einem »geschickten Handel« zu beenden und daraus einen Image-Erfolg zu machen. Doch auch im Interesse der Ukraine und Europas kann es keine militärische, sondern nur eine politische Lösung des Konflikts geben.
  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (2. Juni 2024 um 23:17 Uhr)
    Man kann fast schon mit schlafwandlerischer Sicherheit folgende Formel aufstellen: Je mehr die Ukraine militärisch einknickt, desto aggressiver reagiert die NATO, so dass die Eskalationsspirale ins Uferlose ausartet, bis hin zum Atomkrieg. Es ist absehbar, dass das Kiewer Marionettenregime den Krieg nicht gewinnen kann, vielmehr ihn in Bälde ohne Unterstützung der westlichen Wertestaaten (Wertpapierstaaten) eindeutig verliert.
    • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (3. Juni 2024 um 15:37 Uhr)
      Die Ukraine hat schon jetzt nichts mehr zu gewinnen, denn das für sie Wichtigste hat sie bereits verloren: die Ukraine! Die westlichen »wertebasierten« Räuber werden sich sämtliche Filetstücke des Landes unter ihre Krallen reißen. Für die Ukrainer werden exorbitante Kriegsschulden bleiben, die sie noch über Generationen zu Sklaven des Kapitals degradieren werden. So geht von außen inszenierte und diktierte »Freedom and Democracy«.
    • Leserbrief von Andreas Kubenka aus Berlin (3. Juni 2024 um 14:59 Uhr)
      Ich finde Ihre Feststellung sehr, sehr richtig, Holger K.! Leider haben die Herrscher des Westens in diesen Krieg schon zu viel »investiert«, als dass sie bereit wären, eine Niederlage des Kiewer Marionettenregimes hinzunehmen. Nur eine breite Friedensbewegung in Dimensionen der 80er Jahre könnte hier etwas entgegensetzen.
    • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (3. Juni 2024 um 13:10 Uhr)
      Holger K., glauben Sie ernsthaft, dass nach dem Sieg des Aggressors wieder Ruhe in der Welt einkehrt? Träumen Sie weiter, aber vergessen Sie nicht, dass eines der Kriegsziele von W. Putin die »Umgestaltung der Weltordnung« war! Seine (Putins) Leute ließen bereits durchblicken, dass es darum geht, die ehemals zur UdSSR gehörenden Staaten wieder einzusammeln. Die Ukraine war dann wohl nur der Anfang, weitere würden folgen. Auch eine »Begründung« ließe sich leicht finden: Nazis, wie in der Ukraine, sieht Putin z. B. auch in den baltischen Staaten. – Nach dem Ende der Friedensmacht Sowjetunion gilt der Krieg wieder als »die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln« (Clausewitz), wenn ein Staat glaubt, seine Ziele nicht mit friedlichen Mitteln erreichen zu können. Daran ändert auch die verharmlosende Bezeichnung des Krieges als »militärische Spezialoperation« nichts!
      • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (4. Juni 2024 um 11:41 Uhr)
        Was redest du denn da, Russland kämpft um seine Existenz, steht mit dem Rücken zur Wand und tut jetzt nichts anderes als zum Selbstschutz überzugehen. Dass Russland dabei sei, wieder die alte SU herzustellen, ist eine grobe Unterstellung, denn Putin ist kein Idiot und weiß sehr genau, dass er so sein eigenes Grab so schaufeln würde. Und weil das so wäre, hat der russische Staat die GUS maßgeblich mit begründet, um so ein gut nachbarschaftliches Verhältnis dieser Staaten zueinander herzustellen. Moskau hat ein weitaus größeres Interesse daran, mit diesen Ländern Handel zu treiben, einschließlich der Nutzung der neuen Seidenstraße. Russland selbst ist groß genug und braucht daher keine weitere Ausdehnung, hat ja noch nicht mal sein eigenes Territorium ausreichend erschlossen. Was Russland braucht und anstrebt ist Sicherheit gegenüber seinem Land, einschließlich Eigenständigkeit gegenüber dem US-Imperialismus und dessen imperialistischen Vasallenstaaten., auch Wertestaaten als Selbstbezeichnung genannt.

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