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Aus: Ausgabe vom 03.06.2024, Seite 15 / Politisches Buch
Kalter Krieg

Im Interesse des Friedens

Die weibliche Perspektive auf die »unsichtbare Front«: Ein Buch über die Arbeit von zwei US-Amerikanern für den Auslandsgeheimdienst der DDR
Von Jenny Farrell
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Für die Akten des MfS haben sich insbesondere auch ausländische Nachrichtendienste interessiert

Spionagethriller und Berichte über Ost-West-Geheimdiensttätigkeit während des Kalten Krieges gibt es zuhauf. Sie sind jedoch fast immer aus einer bestimmten westlichen politischen Perspektive geschrieben. Autobiographien ehemaliger »Kundschafter für den Frieden« sind hingegen selten. Beatrice Altman-Schevitz’ »Der Schatten im Schatten« ist einzigartig unter diesen Memoiren, weil sie davon erzählt, wie sie und ihr Mann als US-Amerikaner dazu kamen, in der Bundesrepublik für die DDR zu spionieren, und wie sich ihr Leben unter diesen Umständen gestaltete.

Die am 3. Mai 1994 erfolgte Verhaftung der beiden, die immer so sorgfältig darauf bedacht waren, ihre Tarnung und ihre Quellen zu schützen, war der Alptraum, der für viele der mutigen Menschen an der »unsichtbaren Front« nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Europa Realität wurde: Sie wurden zusammen mit anderen im Zuge der Auswertung der von der CIA beschafften »Rosenholz«-Dateien enttarnt.

Die Autobiographie erzählt die außergewöhnliche Lebensgeschichte dieser beiden linken US-Amerikaner. Da ist Jeffrey, Absolvent der Universität Princeton, Aktivist in der »Free Speech«-Bewegung und der Bewegung gegen den Vietnamkrieg. Beatrices politisches Erwachen fand in Buffalo statt, ausgelöst durch den Attica-Gefängnisaufstand 1971 und den darauffolgenden Gerichtsprozess. »Die Ungerechtigkeit war zu groß, als dass ich hätte schweigen können.«

1976 wurde Jeffrey eine auf zwei Jahre befristete Lehrstelle am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien an der Freien Universität in Westberlin angeboten. Und so zogen sie aus den USA nach Berlin. Bald darauf beschlossen sie, mehr darüber zu erfahren, wie das Leben jenseits der Mauer aussah. Altman-Schevitz berichtete dazu der Rezensentin: »Ich war nicht nur neugierig auf die DDR, ich sah sie als ein unterstützenswertes Experiment an. Ein sozialistisches Experiment, wie es Kuba war, wie Chile es versucht hatte und wie es dort zerstört wurde.« Und weiter: »Jeffrey und ich fanden, dass die DDR trotz des ständigen Angriffs des kapitalistischen Systems große Leistungen erbracht hatte. Also war ich 1977 mehr als nur neugierig. Ich wollte Teil davon sein und es unterstützen.«

Nach Treffen und intensiven Gesprächen mit in der DDR ansässigen US-amerikanischen und britischen Staatsbürgern wurden die beiden vom Auslandsgeheimdienst der DDR rekrutiert, für eine Tätigkeit im Ausland ausgebildet und nahmen ihre Arbeit auf. Über zwölf Jahre lang, von 1977 bis 1989, sammelten und übermittelten Beatrice und Jeffrey sensible Informationen. Jeffrey fand prestigeträchtige Stellen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Bonn und am Kernforschungszentrum Karlsruhe, wo er Quellen erschließen konnte, die Zugang zu relevantem Material in Bonn und an anderen Industriestandorten hatten. Diese Quellen glaubten bis zum Schluss, dass sie Informationen an die in Washington ansässige Beratungsfirma »International Energy Associates Limited« lieferten. Auf diese Weise schützte Jeffrey sie auch für den Fall, dass er enttarnt würde.

Die Schevitzes lieferten viele Daten, insbesondere über ihre Quelle »Caesar«, die Zugang zum Bundeskanzleramt hatte. Von besonderem Interesse für die DDR war die Haltung der westlichen Regierungen zur Kernenergie, zu Hightechsanktionen gegen die DDR, zu Rüstungsfragen und zum Atomwaffensperrvertrag. Wichtig war auch Klarheit darüber, wer die Befürworter und wer die Gegner der NATO-Entscheidung von 1979 zur Stationierung von Raketen in der Bundesrepublik waren. Eine zweite, bei den Grünen angesiedelte Quelle lieferte Insiderwissen über den Einfluss der damals jungen Oppositionspartei auf die Sicherheits- und Friedenspolitik. Beatrice Altman-Schevitz dazu: »Unsere Aufgabe war es, all die unterschiedlichen Meinungen im Bundeskanzleramt und in verschiedenen Ministerien in Bonn zu beschreiben, alle verschiedenen Positionen in der Bonner Regierung zwischen 1980 und 1990 aufzuschreiben: Sicherheitsfragen, die Nichtverbreitung von Kernbrennstoffen und Waffen.«

Beatrice selbst war nicht nur damit beauftragt, Dokumente zu fotografieren, Funkinformationen zu entschlüsseln und als Kurier zu agieren – sie suchte auch nach Arbeitsstellen, die ebenfalls nützliche Einblicke für die DDR bieten würden, zum Beispiel in der südafrikanischen Botschaft in Bonn und später als Sozialarbeiterin auf einem US-Militärstützpunkt in Karlsruhe. Die Autorin schreibt darüber sehr informativ und enthüllt die engen Verbindungen der westdeutschen Regierung zum Apartheidregime. Und sie gibt den Lesern Einblicke in den Alltag und die Probleme der Familien von US-Soldaten, darunter Analphabetismus und häusliche Gewalt.

Sie schreibt diese Geschichte aus ihrer Perspektive als Frau. Sie erzählt den Lesern von ihrer Kindheit in Buffalo und ihrem jüdischen Familienhintergrund, von dem Schock ihrer Eltern, dass sie nach Deutschland gehen würde: »Für meine Eltern war das Land immer noch Nazideutschland. Zweitens wollten sie nie auf deutschem Boden stehen, sie würden mich dort nie besuchen. Das konnte ich verstehen.« Sie schildert, wie unbeirrt sie ihr Ziel verfolgte, einen akademischen Abschluss zu erlangen. Es macht betroffen zu lesen, wie viele Hindernisse sie überwinden musste, und wie sie ihr Bestreben immer wieder im Interesse des Friedens zurückstellte. Die Autorin lobt auch uneingeschränkt, dass sie von den Geheimdienstoffizieren der DDR als völlig Gleichberechtigte behandelt wurde. In der südafrikanischen Botschaft galten andere Regeln: Die weißen Rassisten waren auch Fanatiker der männlichen Überlegenheit.

Andere, persönlichere Aspekte des Lebens fließen natürlich in die Geschichte ein – einige belastende, manchmal traumatische Vorfälle ebenso wie die Themen Kinder, Glück, Beistand, Freundschaft und Liebe. Das rundet die Autobiographie ab und vermittelt einen Eindruck von echten Menschen, die echte Leben führen. Gelegentlich trägt Jeffrey seine Erfahrungen bei. Dies geschieht insbesondere gegen Ende des Buches und betrifft die Enttarnung des Paares und seine Zeit im Gefängnis sowie die Verteidigungsstrategie für den Prozess – eine Strategie, die ihnen lange Gefängnisstrafen ersparte.

Warum entschied sich die Autorin, dieses Buch zu schreiben? Zum einen wollte sie im Ruhestandsalter während der Covid-19-Pandemie ihre Lebenserfahrungen weitergeben. Sie wollte die Gründe für die Entscheidung, für den Geheimdienst eines sozialistischen Staates zu arbeiten, darlegen: Das Hauptmotiv lag darin, alles zu tun, um einen dritten Weltkrieg zu verhindern. Wie das Buch zeigt, riskierten und opferten sie viel, um diesem Ziel gerecht zu werden. Und beide bleiben in dieser Sache aktiv. Indem sie ihre Geschichte erzählt, hofft Beatrice, andere zu inspirieren und zu ermutigen, den Kampf auf jede ihnen mögliche Weise fortzusetzen.

Beatrice Altman-Schevitz: Der Schatten im Schatten. Eine US-Amerikanerin als DDR-Spionin gegen den heißen Krieg. Das Freie Buch, München 2024, 278 Seiten, 24 Euro

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