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Aus: Ausgabe vom 03.06.2024, Seite 16 / Sport
Sportpolitik

»Ohne faire Bezahlung droht dem Spitzensport der Kollaps«

Über Frust im Trainerberuf und einen längst überfälligen Tarifvertrag. Ein Gespräch mit Holger Hasse
Von Andreas Müller
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Schneller sein: Badmintontraining beim MTV Stuttgart

Sie haben einen Streik nicht ausgeschlossen, um auf unwürdige Zustände für die Trainerzunft aufmerksam zu machen. Wann wird es zum äußersten kommen?

In den nächsten Wochen wird das wohl nicht passieren. Wir sind intern gerade in der Abstimmung, wie wir unseren Protest am besten zum Ausdruck bringen können. Als Berufsverband können wir – anders als eine Gewerkschaft – nicht einfach nach einer Urabstimmung zum Streik aufrufen. Doch die Überstundenkonten sind prall gefüllt, so dass zum Beispiel ein gemeinsamer Protesttag durchaus drin wäre. Wir sind schon viel zu lange viel zu brav gewesen, haben uns zurückgehalten und hinhalten lassen und haben gehofft, dass sich Verbesserungen gewissermaßen auf dem Dienstweg erreichen lassen. Das ist anscheinend ein Irrtum. Wir glauben nicht mehr daran, dass der politische Wille für Veränderungen zugunsten unserer wichtigen Berufsgruppe vorhanden ist. Statt dessen düpieren sich der Deutsche Olympische Sportbund und das für Spitzensport zuständige Bundesministerium des Innern lieber gegenseitig, wie wir es zuletzt bei der Diskussion um ein neues Gesetz für den Leistungssport gesehen haben.

Im Entwurf dieses Sportfördergesetzes werden die Trainer glatt ignoriert. Das wird Sie und Ihren Verband ganz besonders jucken?

Die Missstände, die Sorgen und Nöte der Kolleginnen und Kollegen werden in dem Entwurf mit keiner Silbe erwähnt. Unsere Position dazu haben kürzlich in einer gemeinsamen Stellungnahme mit dem Verein Athleten Deutschland zum Ausdruck gebracht. Die untragbaren Zustände für die Trainerinnen und Trainer sind seit langem bekannt, schon aus der Phase vor der Gründung unseres Berufsverbandes im Jahr 2012. Im Gesetzentwurf steht kein Wort zur Verbesserung der Arbeitsbelastung, zur mangelnden Bezahlung und der darunter leidenden Attraktivität des Berufs vor allem in den olympischen Sportarten, kein Wort zum Stellenwert dieser Berufsgruppe als gern so bezeichnete »Schlüsselfiguren« und unentbehrliche Stützen an der Seite der Athleten. Kein Wort auch zu den drohenden personellen Einschnitten, die sich in den kommenden Jahren auftun werden, weil sich viele Trainer in den Ruhestand verabschieden. Zu alldem – null Aussagen. Es ist doch sonnenklar, dass damit der sowieso schon aufgestaute Frust noch zugenommen hat.

Was steht im Zentrum Ihrer Forderungen?

Ein bundesweiter und einheitlicher Trainertarif, wie er für alle sonstigen Berufsgruppen etwas ganz Selbstverständliches ist. Sogar im organisierten Sport, ob es nun die Verbände sind, die Landessportbünde, die Institute und sonstigen Einrichtungen – überall wird da von der Sekretärin oder vom Buchhalter bis zu den Referenten und anderen Mitarbeitern nach Tarif entlohnt. Für jede Position in der riesigen Organisation des Sports gibt es einen Tariflohn, nur für die Trainer nicht. Das ist völlig inakzeptabel und nicht länger hinnehmbar. Vor allem, weil es schon zahlreiche Konzepte gibt, die detailliert ausführen, wie so ein Tarifsystem aussehen sollte. Dort sind zum Beispiel die spezifischen Anforderungen an diesen Beruf eingearbeitet wie die hohe Zahl an Arbeitsstunden besonders auch an Wochenenden oder die große Zahl von Dienstreisen. Diese Vorarbeiten beinhalten ebenso, wie berufliche Qualifikation zu bewerten ist. Das reicht von der A-Trainer-Lizenz als der untersten Kategorie über das Trainerdiplom bis zu verschiedenen sportwissenschaftlichen Abschlüssen, über die rund die Hälfte aller Bundestrainer verfügen. Wie man sieht, geht es uns beim Gehaltsgefüge keineswegs nur um die Gruppe der 800 bis 900 Bundestrainer, sondern um sämtliche der etwa 4.000 bis 5.000 Trainerinnen und Trainer an den verschiedensten Stellen im bundes- und landesweiten Leistungssportsystem. Wenn wir noch die Gruppe der selbständigen Tennis-, Fußball- oder Fitnesstrainer dazunehmen, reden wir sicher über mehr als 10.000 Personen. Wobei die Bedingungen für das Personal im hochkommerzialisierten Sport nicht mit den Verhältnissen in den olympischen oder nichtolympischen Fachverbänden zu vergleichen ist.

Das von Ihnen skizzierte Tarifsystem wird mehr Geld kosten, ist das der große Haken?

Ganz klar hätte das erhebliche finanzielle Folgen. Seit Jahrzehnten lässt die finanzielle Ausstattung für die Trainer zu wünschen übrig. Seit Jahren ist diese Decke zu klein und wird stets mehr schlecht als recht irgendwie zurechtgezerrt und dabei auf das Verständnis und die Mitwirkung der Trainer vertraut. Mit einem einheitlichen Tarifsystem würde sich dieser Zustand deutlich verbessern, zugleich würde jede Trainerstelle tendenziell teurer. Das bereitet vor allen Dingen den Spitzenverbänden große Sorgen. Mit dem vorhandenen Budget wäre die Zahl der vorhandenen Stellen nicht zu halten. Es würde ein Zwang entstehen, leistungssportlich Prioritäten und Schwerpunkte zu setzen. Es müssten unangenehme Entscheidungen getroffen werden, was, wo und mit welchem personellen Aufwand zu fördern ist. Eine Diskussion, die seit Jahren nicht ernsthaft stattfindet.

Das klingt nach einem sehr dicken Brett, das Sie bohren müssen?

Das Thema ist komplex, doch ohne faire Bezahlung droht dem Spitzensport der Kollaps. Wenn es so bleibt, bluten wir personell sukzessive aus. Schon die Altersstruktur mit einem hohen Anteil von Trainern kurz vor der Rente ist eine riesige Herausforderung. Hinzu kommen die Abgänge bei den Jüngeren. Nach Studium und Ausbildung sind die Leute hoch motiviert und tatendurstig und nehmen viele der Belastungen noch klaglos hin. Gründen sie eine Familie, sind sie später über 40 und in den besten Jahren, kippt die Stimmung. Der Freude folgt der große Frust, viele gute Leute gehen weg, orientieren sich beruflich neu oder werden vom Ausland abgeworben. Dieser Aderlass ist das allergrößte Problem. Es ist unmöglich zu lösen, ohne diesen Beruf attraktiver zu machen und gesellschaftlich adäquat anzuerkennen. Fähige Leute von außerhalb einkaufen, das ist leider keine Option. Mit unseren Angeboten sind wir nicht konkurrenzfähig und werden international ausgelacht.

Holger Hasse (53) ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert engstens mit dem Trainerthema vertraut, seit 2018 im Ehrenamt als Präsident des Bundesverbandes der Trainerinnen und Trainer im deutschen Sport (BVTDS). Als Honorartrainer und Bundesjugendtrainer im Deutschen Badmintonverband (DBV) verantwortete er von 2000 bis 2012 den Nachwuchsbereich, von 2013 bis zu den Olympischen Spielen 2016 war er als Chefbundestrainer tätig. Seit 2017 arbeitet Holger Hasse als Geschäftsführer des Verbandes Badminton NRW, dessen Referat für Trainerausbildung er seit 1997 durchgehend als Beisitzer angehörte. Seit 2017 ist er für den Bereich verantwortlich.

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