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Aus: Ausgabe vom 04.06.2024, Seite 8 / Ansichten

Zum Äußersten

Deutsche EU-Aufrüstung
Von Arnold Schölzel
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»Leopard«-Panzer während einer Inspektion: Bei Rüstungsherstellern wie hier dem Rheinmetall-Konzern knallen dank »Zeitenwende« die Sektkorken (Unterlüß, 12.2.2024)

Beim Waffenschmieden sind sie noch fixer als beim Überschreiten sogenannter roter Linien. Das Nötige zu letzterem zitierte General a. D. Harald Kujat in der vergangenen Woche vom Militärklassiker Clausewitz: »Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, und es gibt in der Anwendung derselben keine Grenzen; so gibt jeder dem anderen das Gesetz, es entsteht eine Wechselwirkung, die dem Begriff nach zum Äußersten führt.« Clausewitz lag aber falsch, denn er dachte wissenschaftlich. Heute gilt die NATO-Erkenntnis, die der deutsche Kanzler auf seine verschwiemelte Weise und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ungleich präziser jüngst mehrfach verkündeten: »Selbstverteidigung ist keine Eskalation.« Selbstverteidigung schließt demnach das Äußerste von vornherein ein, das Gerede von »Besonnenheit« und »roten Linien« ist Gerede, bloße Worte. Grenzen von irgendwas sind bei Begriffslosen ausgeschlossen.

Das Äußerste will aber vorbereitet sein. Also tagte ohne Kenntnisnahme einer größeren Öffentlichkeit zum Beispiel am 28. Mai in Meseberg der Deutsch-Französische Verteidigungs- und Sicherheitsrat, dessen »Schlussfolgerungen« zu entnehmen ist: Beide Regierungen einigten sich auf eine »langfristige, umfassende und inklusive Zusammenarbeit im Bereich weitreichender Abstandswaffen«. Am 30. Mai – Joseph Biden verkündete in Washington gerade die Aufhebung angeblicher Einschränkungen beim Beschuss von Zielen in Russland durch Kiews Streitkräfte – berichtete faz.net über das neue Vorhaben unter der Überschrift: »Eine Waffe, vor der sich Moskau fürchten soll.« Vor allem die Deutschen trieben die Entwicklung von »Precision Strike Missiles« voran. Und »Überraschung«: Begonnen wurde mit dem Entwickeln »wohl schon vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine« – so laut faz.net ein Fachmann von der Bundeswehr-Universität München. Der empfiehlt, »die Raketen in den skandinavischen Ländern oder Polen zu stationieren«. Hat etwa der »Taurus« ausgedient, bevor er Richtung Moskau starten konnte? Außerdem darf Kiew nun, so General Christian Freuding am Sonntag im ARD-»Bericht aus Berlin«, mit »Patriot« in den russischen Luftraum schießen. Hat im Januar schon gut geklappt, als die Kiewer ein russisches Flugzeug mit 65 für Austausch vorgesehenen ukrainischen Kriegsgefangenen mit westlicher Flugabwehr pulverisierten.

Wo sich alles so zum Guten von »Selbstverteidigung« wendet, brummt zum einen die EU-Rüstungsindustrie. In den Meseberger »Schlussfolgerungen« heißt das: »Stärkung der europäischen verteidigungsindustriellen Basis«. Zu besichtigen übrigens ab Mittwoch bei Berlin: Dort stellt »Die globale Luft- und Raumfahrtindustrie im Herzen Europas« aus.

Kriegstüchtigkeit kennt zum anderen wie Stoltenberg-Scholzsche »Selbstverteidigung« oder wie Präzisionsraketen keine Grenzen. Vorm Verglühen kichert irgendwo das Äußerste.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (4. Juni 2024 um 10:42 Uhr)
    Die Historie hat Europas Antlitz drastisch gewandelt. Einst gerettet von der Invasion der Alliierten, steht der Kontinent heute zerrissen da – liberale Demokratien zerfressen von internen Spannungen und äußeren Bedrohungen. Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, was nicht nur demographische Verwerfungen, sondern auch Wohlstand und eine Scheindemokratie mit sich brachte. In dieser Atmosphäre wachsen Generationen heran, die Militär und Krieg ablehnen. Seit dem Zerfall der Sowjetunion haben die Europäer ihre Armeen radikal abgebaut. Ohne die USA wären die europäischen Streitkräfte kaum mehr als ein Papiertiger, und selbst moderne Waffensysteme können das Fehlen kampferprobten Personals nicht wettmachen. Politiker wie Macron, die unter ihrer Präsidentschaft nichts bewegt haben, sind irrelevant in dieser Diskussion. Sollte Amerika, womöglich unter einem neuen Trump-Regime, den Schutzschirm über Europa einziehen, stünde der Kontinent wehrlos da. Wir stehen vor Herausforderungen an allen Fronten – militärisch, wirtschaftlich, außenpolitisch und sogar intern. Einzig das Glück, dass Moskau sich mit einer neutralen Restukraine zufriedengeben könnte, bewahrt uns vor dem Schlimmsten. Dennoch bleibt die Frage: Wie lange kann dieser fragile Frieden halten, wenn wir immer näher an das »Äußerste« rücken?
  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (3. Juni 2024 um 23:06 Uhr)
    Schon der einstige FDP-Politiker namens Mende, sah im Überfall Hitler-Deutschlands eine Prävention, Deutschland, das lediglich der SU zuvorgekommen war, die Rote Armee wäre sonst hierzulande einmarschiert. Das hiesige Land war lediglich schneller als die UdSSR. Nach dieser »Logik« war das Unternehmen Barbarossa halt auch eine Form von Selbstverteidigung. So betrachtet ist der eigene Staat stets der Gute, der Andere hingegen wie immer die Inkarnation des Bösen. Der deutsche Staat empfiehlt sich wie immer als Musterstaat, der als sogenannter Rechts(s)taat stets im Recht sei und das weltweit, unter dem läuft mittlerweile nix mehr.

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