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Aus: Ausgabe vom 07.06.2024, Seite 14 / Medien
Medienwirtschaft

Offen angekündigter Rechtsbruch

Monatsmonitor Medienwirtschaft: Länder wollen Erhöhung des Rundfunkbeitrags verhindern. Sie haben dazu kein Recht, aber das interessiert nicht
Von Gert Hautsch
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Eine Nichterhöhung hätte verstärkten Personalabbau und Einschnitte beim Programm zur Folge

Eigentlich müsste die Sache klar sein: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR), das heißt ARD, ZDF und Deutschlandradio, sind im gesellschaftlichen Auftrag tätig, gestützt auf Staatsverträge der Bundesländer und im dort definierten Rahmen, finanziert durch eine allgemeine Abgabe. Die Finanzierung muss, wenn es nicht auf eine faktische Kürzung hinauslaufen soll, an die Preissteigerungen angepasst werden. Dazu gibt es eine Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), ebenfalls gestützt auf einen Staatsvertrag.

Das Verfahren hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) durch mehrere Urteile (zuletzt 2021) und gegen vielfachen Widerstand von Privatmedien und der Politik installiert. Es soll eine direkte politische Einflussnahme auf die Rundfunkanstalten verhindern. Diese formulieren ihren Finanzbedarf für die nächstfolgende Beitragsperiode (aktuell 2025 bis 2027). Die KEF prüft die Ansprüche und destilliert daraus eine Empfehlung. Die muss von den Parlamenten der Bundesländer gebilligt werden, um wirksam zu sein, ist aber grundsätzlich verbindlich. Von ihr darf nur in wichtigen begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden.

Die KEF hat Mitte Februar 2024 festgelegt, dass der Rundfunkbeitrag um 58 Cent oder 3,2 Prozent auf 18,94 Euro pro Monat steigen soll. Er gilt dann für drei Jahre. Eine solche Erhöhung läge weit unter den Kostensteigerungen.

Schon im Frühjahr 2023 – bevor die Anstalten überhaupt ihren Bedarf angemeldet haben und die KEF ihre Arbeit aufnahm – hatten etliche Landesregierungen und die CDU-Fraktionen aller Länder erklärt, dass sie aus politischen Gründen keine Beitragserhöhung akzeptieren werden. So etwas hat das BVerfG 2021 im Fall von Sachsen-Anhalt ausdrücklich als rechtswidrig bewertet. Somit zeichnet sich ein offener Rechtsbruch bzw. ein Verfassungskonflikt zwischen Bundesländern und dem obersten Gericht ab.

Nun ist es nicht so, dass es beim ÖRR keinen Veränderungsbedarf gäbe. Dazu liegen verschiedene Vorschläge vor, manche betreffen auch die Strukturen. Die Anstalten werden lautstark aufgefordert, aktiv zu werden. Auch vom BVerfG wird verlangt, dass es von seiner Rechtsprechung abrückt. Der naheliegendste Weg für eine Reform wird allerdings so gut wie nicht diskutiert: Der Finanzbedarf des ÖRR ergibt sich aus dem Programmauftrag, und dieser ist im Rundfunkstaatsvertrag festgelegt. Er könnte von den Landesparlamenten geändert werden. Dazu müssten sie allerdings sagen, wo gespart werden und wie sich der ÖRR entwickeln soll, ob zum Beispiel ARD-Anstalten fusioniert und bestimmte Angebote gestrichen werden sollen. Wegen der unterschiedlichen Interessen der Länder ist eine solche Einigung kaum zu erwarten. Da ist es bequemer, die Anstalten als unersättlichen Finanzmoloch darzustellen, der nicht die Kraft zum Sparen finde und deshalb durch finanziellen Druck dazu gezwungen werden müsse. Korruptionsskandale wie der beim MDR 2022 erleichtern dieses Spiel.

Eine Beitragserhöhung um 3,2 Prozent und erst recht eine Nicht-Erhöhung hätten verstärkten Personalabbau und Einschnitte beim Programm zur Folge. Das Publikum würde das dann nicht den politischen Kräften, die es erzwungen haben, zurechnen, sondern den Anstalten. Damit werden die Interessen der privaten Konkurrenz bedient. Zudem lässt sich so eine nicht direkt kontrollierbare publizistische Macht schwächen. Zwar geben ARD und ZDF derzeit keinen Anlass, an ihrer Mainstreamtreue zu zweifeln, aber das könnte sich ja ändern.

Aktuell ist es um den Konflikt recht still geworden. Die Strategie heißt Aussitzen. Über die Empfehlung der KEF wird einfach nicht entschieden. ARD und ZDF sollen vor die Wahl gestellt werden, das hinzunehmen oder erneut das BVerfG anzurufen. Etliche Landesregierungen, egal ob CDU- oder SPD-geführt (Die Linke in Thüringen drückt sich um eine Positionierung), erklären offen, dass sie die Rechtsprechung des obersten Gerichts nicht hinnehmen wollen und nach Tricks suchen, um sie auszuhebeln.

In den meisten Medien ist dieser offen angekündigte Rechtsbruch kein Thema. Das erstaunt nicht, sie gehören Privatleuten oder Investoren, und denen ist eine nicht kapitalistisch ausgerichtete Mediensparte prinzipiell zuwider. Der unabhängige Rundfunk ist überall auf der Welt ein Hassobjekt für autoritäre Politiker, ihn zu beseitigen ist eines ihrer vorrangigen Ziele. In Deutschland arbeitet die Politik in die gleiche Richtung. Dabei wäre die Stärkung des ÖRR angesichts der Flut von Fake News nötiger denn je. Beklemmende Aussichten.

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